Neulich treffe ich im Supermarkt einen alten Freund. Wir unterhalten uns über dieses und jenes und kommen zu einem interessanten Thema: Woher kommt die Bosheit in der Welt? „Weißt, Pfarrer, die ganz schlechten Menschen bringen die Bosheit in unsere Welt. Schau, bei uns passt ja eh alles. Wir haben niemand umbracht und niemandem was gestohlen. Wir steh‘n ja eh hochweiß da!“, meint mein Gegenüber und ist sichtlich überzeugt davon.
„Deine Gewissheit möcht‘ ich haben!“, sage ich ein wenig nachdenklich. Mir fällt nämlich eine Geschichte ein, die mir vor vielen Jahren mein damaliger Jugendkaplan erzählt hat: Eines Tages läuft jemand ganz aufgeregt zum weisen Sokrates und sagt: „Du, hör zu, Sokrates, ich muss dir unbedingt erzählen, wie dein Freund…“ – „Halt! Moment einmal!“ unterbricht ihn Sokrates, „Sag, hast du das, was du mir erzählen willst, auch durch die drei Siebe geschüttet?“
„Was? Drei Siebe?“ fragte der andere ganz erstaunt. „Ja freilich, drei Siebe! Komm, schau‘n wir einmal, ob das, was du mir erzählen willst, durch die drei Siebe hindurchpasst. Das erste Sieb ist die Wahrheit. Sag, hast du geprüft, ob es auch wahr ist, was du mir erzählen willst?“ „Nein, soeben hat es mir jemand erzählt, und…“
„Aha! Aber sicher hast du es mit dem zweiten Sieb geprüft, es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst, wenn es schon nicht als wahr erwiesen ist, wenigstens gut?“ „Nein!“, meint drauf der andere: „Ganz und gar nicht – im Gegenteil…“
„Ach so!“, unterbricht ihn der weise Sokrates, „Dann lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden und lass uns fragen, ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich so erregt.“ „Nun ja – notwendig nun gerade nicht…“ „Also“, lächelte Sokrates, „wenn das, was du mir erzählen willst, weder wahr noch gut noch notwendig ist, dann lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!“ Wenn man diese Geschichte halbwegs ernst nimmt, sitzt sie wie ein Stachel im Fleisch!
Ich frag mich: Genügt es, bloß kein Kapitalverbrechen begangen zu haben um ein halbwegs guter Mensch zu sein? Oder ist es vielleicht ein gewisser Hang zu Tratsch und Sensationslust, die uns in Summe zu recht unangenehmen Zeitgenossen machen, ohne dass wir es selbst checken? Stehe ich wirklich so „hochweiß“ da, wie mein alter Freund meinte?