Darf das wahr sein? Keine zwei Wochen ist die Eröffnung des neuen Radwegs auf der Nibelungenbrücke her und schon knickt die Politik ein: Medienberichten zufolge soll ein Machtwort von OÖs oberster Instanz in Form des Landeshauptmann-Büros im Raum stehen. Demgemäß soll der Radstreifen auf zumindest einer Seite wieder verschwinden. Nachvollziehbar scheint das nicht: Dass Linz nach dem Bau von vier zusätzlichen PKW-Fahrbahnen auf der VOEST- und der Westringbrücke über die Donau vor dem Weltuntergang stehen soll, wenn im Gegenzug ein 130cm breiter Radweg eingerichtet wird, klingt absurd. Duckt sich die Politik (schon wieder) weg, ginge das letzte bisschen Glaubwürdigkeit in Sachen Verkehrswende und Fokus auf den öffentlichen Verkehr verloren.
Es ist eine unbequeme Wahrheit: Ohne sanften Druck steigt kein Autofahrer aufs Radl, in den Bus oder in eine S-Bahn. Erst werden (immer mehr) Autobahnen und Straßen gebaut und dann glaubt die Politik ernsthaft, dass irgendjemand seinen PKW stehen lässt: Das ist bestenfalls weltfremd. Das Gegenteil ist in absoluten Zahlen belegbar: Mehr Straßen, mehr Brücken und mehr Autobahnen ziehen noch mehr Individualverkehr an.
„Viele wissen gar nicht, wie gut es ihnen eigentlich geht mit dem Linzer „Stauerl“.
Nona wird der Autoverkehr mehr, wenn nach jeder Brückeneröffnung medial getrommelt wird, dass durch neue Brücken und noch mehr Straßen der Stau nach Linz endlich der Vergangenheit angehört: Mehr Einladung, ins Auto einzusteigen, geht gar nicht. Gib Gas, Linz bringt Spaß.
Den allermeisten Berufssuderanten, Verkehrsteilnehmern und leider auch Politikern, die sich über den Stau in Linz mokieren, fehlt vor allem eines: der Blick über den Tellerrand. Viele wissen gar nicht, wie gut es ihnen eigentlich geht mit dem Linzer „Stauerl“. Wer zehn Minuten Zeit bei seiner Einpendelei verliert, für den ticken die Uhren in Linz offensichtlich anders. In Linz fühlen sich zehn Minuten schnell an wie eine Stunde. Facebook-Statusmeldungen wie „Ich stehe seit 45 Minuten in der Rudolfstraße und komme keinen keinen Millimeter weiter“ sind keine Seltenheit, obwohl sämtliche, mit tausenden Autofahrerdaten in Echtzeit gefütterten Navigationsplattformen wie Google Maps oder TomTom großteils nie mehr als 15 Minuten Verzögerung anzeigen. Ein Blick in andere Städte würde zusätzlich die Augen öffnen, wie überschaubar das Linzer Stauproblem tatsächlich ist.
Jammern die Autofahrer im Linzer Zentralraum auf hohem Niveau? Fakt ist: Laut TomTom Stauindex von 2024 ist Linz nach Innsbruck die „flüssigste“ 100.000+ Einwohnerstadt, was die im Stau verlorene Zeit betrifft.
Gerade mal 40 Stunden lassen die Autofahrer in Linz pro Jahr im Stau liegen – das entspricht 10:42min pro Arbeitstag. In Graz (86h) steht man pro Jahr mehr als doppelt so lang im Stau als in Linz, auch in Salzburg sind es mit 78h bedeutend mehr als in Linz. Spitzenreiter ist Wien mit 96 Stunden Zeitverlust.
Für eine Fahrt über zehn Kilometer benötigte man in Linz 2024 im Schnitt 16:10 Minuten – das entspricht 37 km/h.
- Im Jahr 2024 war Istanbul mit einem durchschnittlichen Zeitverlust von 105 Stunden pro Autofahrer Stauregion Nr. 1.
- New York und Chicago folgten mit jeweils 102 Stunden.
- London war europäischer Spitzenreiter Stadt mit 101 Stunden.
- In Paris standen Autofahrer im Schnitt 97 Stunden im Stau.
- In München verlieren Autofahrer im Durchschnitt 74 Stunden im Stau, in Berlin sind es 71 Stunden.
Es ist so simpel wie es klingt: Stoßzeit ist Stauzeit. Kein Straßensystem lässt sich für ein oder zwei Stunden dichten Morgen- und Abendverkehr einrichten. Linz bestünde nur mehr aus achtspurigen Brücken, Stadtautobahnen und breiten Durchzugsstraßen. Darauf haben wir Linzer echt keine Lust. Und es ist auch eine Gewissheit, dass viele der Linz-Einpendler in den Speckgürtel gezogen sind, dort Häuser gebaut haben und jetzt eine Autobahnverbindung von daheim bis vor die Bürotür als Menschenrecht ansehen. Auch dafür haben wir Linzer wenig Verständnis.
Ich selbst habe zwölf Jahre lang in Puchenau gewohnt – und war erstaunt, dass geschätzte 75 Prozent aller Nachbarn mit dem Auto zum Arbeitsplatz in die Stadt gefahren sind – trotz perfekter Zugverbindung von sieben Minuten. Mit der neuen Donautalbrücke erging kürzlich die Einladung an die verbleibenden 20 Prozent, ebenfalls wieder aufs Auto umzusteigen.
Eine Verkehrswende ohne (sanften) Druck ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die Radfahrer – und das sind auf der Nibelungenbrücke mittlerweile eine Million pro Jahr – haben sich diese 130cm mehr als verdient, nachdem auch die neue Westring-Brücke für die Velizopedisten tabu ist. Verkehrswende – das ist genauso wie beim Rauchen aufhören, beim Lauftraining oder beim Abnehmen: Nur wenns ein bissl „zach“ und „stoak“ ist, bringt’s auch was.
Klar ist: Macht Landeshauptmann Thomas Stelzer wirklich ernst und pfeift er das Radwegprojekt auf der Nibelungenbrücke zurück, ist das letzte bisschen Glaubwürdigkeit in Sachen Verkehrswende, Zurückdrängung des Autoverkehrs und Klimahauptstadt verloren. Möge dann niemand mehr in der Politik einen dieser Begriffe in den Mund nehmen. Das Thema ist dann endgültig erledigt, die Glaubwürdigkeit detto. Und es wäre eine Schande für Linz und OÖ, wenn man gleichzeitig sieht, wie modern, progressiv und proaktiv andere Städte und Regionen das Thema Verkehrswende vorantreiben.
wh