Ganz Linz jammert über die aktuelle Verkehrssituation. Wie schlimm ist es wirklich – und welche Auswege gibt es? Mehr Radwege, eine Citymaut oder kostenlose Öffis? Der LINZA plauderte mit Christian Gratzer vom Verkehrsclub Österreich (VCO).
Wie schätzen Sie die Situation in Österreich im europäischen Vergleich ein: Sind wir nach wie vor eine Insel der Seligen oder ist es bei uns nicht besser als anderswo?
Sich an den Besten zu orientieren, ist auch im Verkehrsbereich wichtig und sinnvoll. Amsterdam und Kopenhagen sind durch zahlreiche Maßnahmen zur Förderung des Radfahrens zu Europas Radchampions geworden. Städte wie Karlsruhe haben sehr gute öffentliche Verbindungen vom Umland in die Stadt umgesetzt. Beim Öffentlichen Verkehr wird international Wien immer wieder als Vorbild genannt. Die Verkehrsbelastung hat auch sehr viel mit der Siedlungspolitik sowie Vorschriften für Wohn- und Bürogebäude zu tun. Von Zürich können wir lernen, dass es bei neuen Wohnbauten für PKW-Parkplätze eine Obergrenzen braucht und nicht wie bei uns Mindestgrenzen. Je mehr Parkplätze errichtet werden, umso mehr Autoverkehr und Staus wird man ernten.
Es gibt wohl keine Stadt auf der Welt, in der nicht über den Verkehr gejammert wird. In Linz wird wegen Stauproblemen derzeit besonders laut geschimpft. Zu Recht?
Für die Bevölkerung ist die aktuelle Situation ein großes Ärgernis und es ist Aufgabe der Politik, Lösungen zur Verringerung des Verkehrsproblems umzusetzen. Staus sind kein Naturgesetz, sondern können vermieden werden. Das beginnt bei guten Bahn- und Busverbindungen für Pendler geht über Radschnellwege aus dem Umland in die Stadt bis hin zu einem modernen Parkplatz-Management.
Der Linzer Verkehrsstadtrat Markus Hein machte kürzlich eine umstrittene Aussage: „Es wird auf hohem Niveau gejammert.“ Soll heißen: Viele Autofahrer sind nach wie vor zu bequem, umzusteigen und andere Verkehrsmittel zu wählen. Ist da was dran?
Unser Mobilitätsverhalten ist in erster Linie die Folge der vorhandenen Rahmenbedingungen. Wo es gute öffentliche Verkehrsverbindungen gibt, fahren viele damit. Wo es eine radfahrfreundliche Verkehrsplanung gibt, wird viel Rad gefahren. Wo autofreie Zonen geschaffen werden oder es Verkehrsberuhigung gibt, sind viele Fußgänger unterwegs. Wenn es aber bequem gemacht wird, das Auto zu nehmen, dann wird häufiger Auto gefahren, Staus und Parkplatzprobleme sind dann die Folge.
In Linz stehen sich so wie in vielen anderen Städten zwei große Gruppen gegenüber: einerseits die Pendler, die schnell zum Arbeitsplatz in der Stadt (und wieder heim ins Grüne) wollen; andererseits die Stadtbewohner, die den Dreck der vielen Autos nicht hinnehmen wollen.
Das ist keine Frage von entweder oder, sondern von sowohl als auch. Gerade die Verkehrspolitik kann durch die Förderung und Schaffung von umweltfreundlichen Mobilitätsangeboten die Lebensqualität für die Bewohner in der Stadt erhöhen und gleichzeitig sicherstellen, dass Pendler kostengünstig und schnell zur Arbeit kommen. Wichtig ist auch, die Betriebe und Unternehmen als Partner ins Boot zu holen. Immer mehr Unternehmen in Österreich beweisen vorbildlich, wie mit betrieblichem Mobilitätsmanagement die Verkehrssituation verbessert werden kann.
Oder ist das Autofahren im Vergleich zu den Öffis einfach nach wie vor immer noch zu billig?
Autofahren verursacht nicht nur dem Einzelnen, sondern zusätzlich auch der Allgemeinheit hohe Kosten. Beispielsweise verursachen die Abgase des Autoverkehrs nicht nur Umweltschäden, sondern auch zahlreiche Erkrankungen und damit auch Krankenstände. Diese Folgekosten sind aber beim Preis des Autofahrens nicht inkludiert, sondern werden zum Beispiel dem Gesundheitssystem verrechnet. Deshalb ist es auch gerechtfertigt, den Öffentlichen Verkehr und die Tarife für die Bevölkerung zu fördern. Eine Öffi-Jahreskarte ermöglicht uns im Vergleich zum Auto kostengünstige Mobilität.
Wie stehen Sie zur immer wieder aufkommenden Forderung nach Gratis-Öffis, um die Menschen zum Umsteigen zu bewegen?
Klingt nett, ist aber kontraproduktiv. Denn das entscheidende Kriterium, ob viele Menschen öffentliche Verkehrsmittel nutzen, ist das Angebot. Es braucht häufigere Verbindungen und ein dichtes Öffi-Netz. Gratis-Öffis würden dazu führen, dass weniger Geld für die Verbesserung des Angebots zur Verfügung steht. Die Einnahmen aus den Fahrkartenverkäufen fallen weg, die öffentlichen Zuschüsse würden vom laufenden Betrieb verschlungen werden. Und für zusätzliche Verbindungen, neue Fahrzeuge oder Ausbau der Infrastruktur würde das Geld fehlen.
Wie groß schätzen Sie die Gruppe der renitenten Verweigerer ein, die zwar auf die Öffis umsteigen könnten, es aber um keinen Preis in der Welt tun?
Ich orientiere mich lieber an Daten und Fakten und nicht an Schätzungen. Für die Verkehrssituation und die Luftqualität in Linz wäre schon viel gewonnen, wenn jene, die wollen, durch Verbesserungen der Alternativen auch umsteigen können.
Auch in Linz gibt es vermehrt Bemühungen, den Radverkehr massiv zu steigern. Ist das realistisch beziehungsweise die Lösung des Verkehrsproblems?
Ja. Viele Autofahrten sind kurz. Die Erfahrungen anderer Städte zeigen, dass Autofahrer bei guter Rad-Infrastruktur aufs Rad umsteigen. Das Fahrrad ist genauso wie das Auto ein Individualverkehrsmittel. Und mit der stark wachsenden Zahl von E-Fahrrädern wird das Radfahren nochmals leichter.
In Linz wird auch immer wieder eine City-Maut angedacht. Wäre das ein Ansatz?
In Stockholm, Göteborg, Trondheim oder auch in Mailand trägt die City-Maut dazu bei, Staus zu vermeiden und sie bringt dort Einnahmen, die für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der Verbesserung der Rad-Infrastruktur verwendet werden. In allen Städten war nach Einführung die Zustimmung zur City-Maut deutlich höher als vorher. Auch das ist ein Indiz, dass die City-Maut ein wirksames Instrument ist. Schneller wirksamer wäre aber in Linz ein modernes Parkplatzmanagement.
Welche Rolle bei der Wahl der Verkehrsmittel spielen die Faktoren Zeit und Kosten im Vergleich zueinander?
Zeit spielt eine größere Rolle als Kosten, denn sonst wären schon heute weniger Autos auf den Straßen unterwegs. Das ist auch an der Verlängerung der Straßenbahn von Linz nach Traun erkennbar. Die Zahl der Fahrgäste ist hier stark gestiegen.
Das Thema Elektroautos rückt immer mehr in den Mittelpunkt. Das Stauproblem lässt sich damit aber auch nicht lösen – oder?
Richtig. E-Autos verringern die Schadstoffbelastung in der Stadt, stehen aber auch im Stau. Deshalb hat in der Stadt der Ausbau des Öffentlichen Verkehrs und die Förderung von Radfahren und Gehen Vorrang. In Form von E-Carsharing können E-Autos aber zur Verkehrsentlastung beitragen. Wer vom eigenen Auto auf Carsharing umsteigt, fährt in der Folge seltener mit dem Auto, reine Gewohnheitsfahrten fallen weg. Und je nach System ersetzt ein Carsharing-Auto bis zu zwölf private Autos, wodurch sich auch die Parkplatzsituation verbessert.
Wären denn zum Beispiel Seilbahnen in der Stadt eine Lösung? In div. südamerikanischen Städten gibt es solche Projekte bereits, auch in manchen europäischen Metropolen denkt man darüber nach.
Allgemein kann festgestellt werden, dass dort, wo ein Fluss die Stadt teilt, eine Stadtseilbahn eine gute Alternative sein kann. Betonung auf kann. So können Stadtteile, die nicht in der Nähe einer Brücke sind, umweltfreundlich miteinander verbunden werden. Eine Seilbahn kann aber höchstens eine Ergänzung zum öffentlichen Verkehrsangebot sein.
Gibt es eine europäische Vorzeigestadt, was den Umgang mit dem Autoverkehr betrifft?
International werden Kopenhagen, Stockholm, Zürich und auch Wien als Vorzeigestädte bezüglich der Mobilitätspolitik genannt. Ansonsten lieben viele Venedig nicht nur wegen seiner Architektur und Sehenswürdigkeiten, sondern auch, weil diese Stadt fast zur Gänze autofrei ist.
Und welche Stadt in Österreich hat seine Verkehrsprobleme am besten gelöst?
Die Stadt ohne Verkehrsprobleme gibt es leider (noch) nicht. Was den Anteil an zu Fuß und mit dem Rad zurückgelegten Strecken betrifft, sind in Österreich Innsbruck und Bregenz Vorreiter. Und hinsichtlich Öffentlicher Verkehr ist Wien nicht nur Österreichs Champion, sondern liegt auch in Europa im Spitzenfeld.
Über den Verkehrsclub Österreich (VCÖ)
Der VCÖ wurde im Jahr 1988 gegründet. Er ist jene Organisation in Österreich, die sich umfassend für ökologisch verträgliche, sozial gerechte und ökonomisch effiziente Mobilität einsetzt. Der VCÖ nennt die Verkehrsprobleme beim Namen und zeigt Lösungen auf. Das Ziel des VCÖ ist ein Verkehrssystem, das allen Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht oder sozialer Stellung faire Mobilitätschancen ermöglicht und die Belastungen für Mensch und Umwelt durch den Verkehr verringert.
Interview: wilson holz