Michael Raml ist nicht nur Linzer Stadtrat und damit Teil der Stadtregierung, sondern auch studierter Jurist. In dieser Rolle haben wir mit ihm über die seit Anfang Februar geltende Impfpflicht geplaudert.
Michael Raml, die Impfpflicht ist in Kraft getreten. Was sagen Sie dazu – nicht als Politiker, sondern als Verfassungsjurist?
Die Impfpflicht ist zweifellos einer der größten Grundrechtseingriffe, die wir in den letzten Jahrzehnten in Österreich hinnehmen mussten. Unter ganz strengen Rahmenbedingungen können Grundrechte zwar eingeengt werden, bei der Impfpflicht liegen diese aber nicht vor.
Warum?
Jeder Grundrechtseingriff muss verhältnismäßig sein. Angesichts der Omikron-Variante und der Entwicklung im Allgemeinen ist das alles weit weg von verhältnismäßig – bei aktuell 17 Covid-Intensivpatienten in ganz Oberösterreich (Stand Ende Jänner, Anm.). Gleichzeitig mussten bzw. müssen Zehntausende Ungeimpfte einen zusätzlichen enormen Grundrechtseingriff in Form eines Lockdowns und Ausgesperrtseins aus der Gastronomie und aus dem Handel über sich ergehen lassen.
Was wäre eine praktikable Lösung, nachdem das Gesetz ja schon von ÖVP, Grünen, SPÖ und NEOS beschlossen wurde?
Derartige Grundrechtseingriffe brauchen einen massiven Ausbau des Rechtsschutzes. Daher erneue ich meine Forderung nach einem Eilverfahren zum Schutz der Menschenrechte vor dem Verfassungsgerichtshof. Es kann nicht sein, dass Menschen, die zur Impfung gezwungen werden, dann monatelang auf ein Erkenntnis des VfGH warten müssen.
„Wie wir alle wissen, ist das Gesundheitsministerium weit davon entfernt, das beste Ministerium im Lande zu sein“
Michael Raml
Im Vorfeld gab es über 100.000 Einwände und Stellungnahmen zum Impfpflichtgesetz – auch von Rechtsexperten und Fachleuten. Offiziell wurden diese in die Gesetzgebung „eingearbeitet“. Aber war das in so kurzer Zeit überhaupt möglich?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass selbst das beste Ministerium das in so kurzer Zeit bewältigen könnte – und wie wir alle wissen, ist das Gesundheitsministerium weit weg davon, das beste Ministerium im Lande zu sein. Von ernsthaft gelesen, geschweige denn verstanden oder irgendwie eingearbeitet kann man hier wohl nicht sprechen. Es war ein grobes, beispielloses Drüberfahren über -zig Fachleute aus allen Bereichen – und natürlich auch über die Einwände der Bevölkerung.
In so gut wie allen anderen Ländern hält man die Einführung einer Impfpflicht für rechtlich unmöglich, in Österreich wurde dieses Gesetz mit großer Mehrheit und ohne merkbarem Aufschrei der Medien durchgewunken. Wie können die rechtlichen Ansichten so elementarer Fragen in einem vereinten Europa dermaßen divergieren?
Das Schockierende dabei ist, dass Österreich so wie alle anderen Länder der europäischen Menschenrechtskonvention unterliegt. Deutschland und Tschechien gehen aktiv von diesem Vorhaben ab. Und Österreich? Ignoriert sogar ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom April 2021, das sich gegen die Implementierung einer Impfpflicht ausspricht.
Was sind die größten Mängel dieses Gesetzes?
Es fehlt zum Beispiel eine Zielvorgabe, was erreicht werden soll, aber auch der Hinweis, unter welchen Voraussetzungen die Impfpflicht wieder außer Kraft gesetzt wird. Zudem muss jeder Grundrechtseingriff verhältnismäßig sein, was aktuell absolut nicht der Fall ist.
„Jeder Grundrechtseingriff muss verhältnismäßig sein, was aktuell absolut nicht der Fall ist“
Michael Raml
Es wäre nicht das erste Gesetz dieser Regierung, das der VfGH außer Kraft setzt oder zurückpfeift. Warum hat es eigentlich keine rechtlichen Konsequenzen für die jeweilige Regierung, wenn immer wieder Husch-Pfusch-Gesetze beschlossen werden, die dann gekippt werden?
Hätte die Bundesregierung die Stellungnahmen ernst genommen, müsste sie wissen, dass sie hier mutmaßlich vorsätzlich und verfassungswidrig handelt. Es gibt bei uns seit der Einführung der Bundesverfassung im Jahr 1920 nur einen sog. „nachprüfenden Rechtsschutz“. Gesetze sind damit so lange in Kraft, bis sie vom VfGH aufgehoben werden. Rechtliche Auswirkungen für die verantwortlichen Politiker sind dabei keine vorgesehen – selbst im Fall dieser groben Grundrechtseingriffe.
„Ich gehe davon aus, dass es seitens des VfGH vor dem Juni 2022 zu keiner Entscheidung kommen wird“
Michael Raml
Von welchem Zeitraum kann man ausgehen, bis der VfGH im Fall der Impfpflicht entscheidet?
Der Verfassungsgerichtshof tagt viermal im Jahr, das nächste Mal Anfang März, dann wieder im Juni. Ich gehe daher davon aus, dass es vor dem Juni 2022 zu keiner Entscheidung kommen wird.
Vertrauen Sie dem VfGH? Wie man weiß, ist in Österreich nahezu jede Institution mehr oder weniger politisch besetzt oder beeinflusst.
Außer Frage steht, dass höchstgerichtliche Urteile von allen zu akzeptieren sind. Es würde aber zum Beispiel zur Qualitätssteigerung des Höchstgerichts beisteuern, wenn auch dort die sog. „Disssenting Opinion“ zugelassen wird. Derzeit tagt das Höchstgericht hinter verschlossenen Türen, es gibt 14 Richter, die abstimmen. Man erfährt aber nie, wie abgestimmt wurde und welche Argumente auf den Tisch kamen. In anderen Ländern gibt es für die ‚unterlegene‘ Minderheit die Möglichkeit, auch die Gegenargumente publik zu machen.
Wie sehen Sie als Jurist die Chancen, dass das Impfpflichtgesetz gekippt wird?
Ich schätze die Chancen als sehr gut ein, weil sich die Corona-Situation mittlerweile stark verändert verändert hat.
In einem PRESSE-Interview mit Andreas Mölzer war zu lesen, Herbert Kickl sei schuld an der Impfpflicht, weil der FPÖ-Obmann sozusagen nicht „gewinnen“ dürfe.
Ich befürchte auch, dass die Bundesregierung dieses Gesetz durchgepeitscht hat, weil sie um jeden Preis recht behalten wollte und es ein Zugeständnis an die Position der FPÖ gewesen wäre.
Ich befürchte auch, dass die Bundesregierung das Impfpflichtgesetz durchgepeitscht hat, weil sie um jeden Preis recht behalten wollte“
Michael Raml
Was kann die FPÖ jetzt noch tun?
Ich in meiner Rolle als Verfassungsjurist bereite aktuell gemeinsam mit Manfred Haimbuchner mehrere Rechtsmittel vor. Das dauert etwas, weil wir das rechtlich „wasserfest“ und sehr detailliert aufbereiten.
Was kann der „kleine“ Bürger unternehmen?
Man kann bereits jetzt einen Individualantrag auf Aufhebung des Impfpflichtgesetzes an den VfGH stellen. Und sobald man gestraft wird, kann man auch dagegen Rechtsmittel bis hinauf zum Höchstgericht einlegen. Zudem bemühen wir uns, jedem Bürger eine entsprechende rechtliche Unterstützung zu bieten.
Aktuell läuft die Eintragungsfrist für ein Volksbegehren gegen die Impfpflicht. Hat das überhaupt einen Sinn? Die Vergangenheit hat gezeigt, dass selbst hohe Unterstützer-Zahlen ins Leere laufen, weil sich das Parlament lediglich mit dem jeweiligen Thema „befassen“ muss. Viele Bürger fühlen sich da gefrotzelt. Bedarf es da nicht mehr Verbindlichkeit?
Ja! Jetzt ist wirklich die Zeit gekommen, wo wir über den massiven Ausbau der direkten Demokratie diskutieren müssen. Die FPÖ war und ist bekanntlich immer sehr stark dafür eingetreten. Volksbegehren müssen rechtlich verbindlicher gemacht werden, eine kurze Diskussion im Parlament reicht da nicht. Ein Politiker darf sich vor dem Volk nicht fürchten.
SPÖ-Bürgermeister Klaus Luger und LAbg. Peter Binder haben sich in der Impfdiskussion sogar für zweiwöchige Gefängnisstrafen ausgesprochen, was in der FPÖ auf helle Aufregung stieß. Wie funktioniert da die Zusammenarbeit, schließlich nehmen Sie als Gesundheitsstadtrat eine wichtige Rolle in der Covid-Pandemie ein?
Ich teile den Kurs des Bürgermeister mit noch mehr Strafen und sogar Gefängnis in keiner Weise. Luger war im Wahlkampf einmal für und dann wieder gegen die Impfpflicht, so wie es medial gerade gepasst hat. Vor dem Wahltag hat er davon gesprochen, ein Bürgermeister für alle Linzerinnen und Linzer zu sein, das hat er mit seinen Handlungen nach der Wahl ebenfalls revidiert, indem er massiv die Impfpflicht gefordert hat.
„Klaus Luger war im Wahlkampf einmal für und dann wieder gegen die Impfpflicht, so wie es medial gerade gepasst hat“
Michael Raml
Wie beurteilen Sie es, dass sogar die SPÖ und die liberalen NEOS für die Impfpflicht gestimmt haben?
Völlig unverständlich, weil es absolut nicht notwendig war und es sogar innerhalb der SPÖ massive Widerstände gegeben hat – etwa auf der Arbeitnehmerseite. Von Rendi-Wagner bis zum Bezirksvorsitzenden Luger haben die führenden Köpfe der SPÖ die Basis komplett ignoriert. Das zeigt, dass sich die SPÖ in den letzten Jahren immer weiter weg von den Menschen bewegt hat.
Wie man weiß, vergessen die Wähler aber auch wieder sehr schnell. Auch die FPÖ hat – Stichwort Ibiza – davon profitiert. Gewählt wird im Bund erst wieder 2024 und in OÖ gar erst 2027, Corona wird dann wohl kein Thema mehr sein.
Die Corona-Auswirkungen werden sich in vielen Bereichen noch über Jahre hinziehen. Darauf zu hoffen, dass die Wählerinnen und Wähler den ganzen Wahnsinn schnell vergessen, das wird sich bis 2024 wohl nicht ausgehen.