Richtig gehört, nach Wien und noch vor Graz bekommt jetzt auch Linz endlich eine U-Bahn. Wenn auch nur einen Wagon. Und ohne Räder. Fahren soll sie aber sowieso nicht. Die ausrangierte Garnitur der Münchner Verkehrsbetriebe dient als neuer Graffiti Hotspot im Mural Harbor.
In den 70er-Jahren waren es Züge, auf denen die ersten bunten Graffiti ausgehend von den Hotspots New York und Philadelphia auch in den letzten Winkel Amerikas rollten und somit die noch neue Kunstform im ganzen Land bekannt machten. Innerhalb der Stadtgrenzen waren es vorwiegend S- und U-Bahnen, die zu fahrenden Galerien wurden – der Rest ist Geschichte. Ganz nach amerikanischem Vorbild wurden bald auch in Europa die ersten Züge bemalt. Was die wenigsten wissen: München war hier ganz vorne mit dabei. Als die Hip Hop Kultur in der bayerischen Landeshauptstadt florierte, war es nur noch ein kurzer Weg entlang der Weißwurstgrenze nach Oberösterreich.
Ein Triebwagen der Serie A der Münchner U-Bahn, Baujahr 1983. 194 dieser Wägen wurden insgesamt gebaut, 20 von ihnen wurden bereits ausgemustert und einer übersiedelt nun in den LINZ AG Hafen. Genauer gesagt, auf das Areal der Mural Harbor Gallery, die sich damit einen lang gehegten Traum erfüllt. Denn dieser Wagon ist weit mehr als nur ein ausrangierter Stahlklotz. Er steht symbolisch für die Kulturachse Linz-München, die einst den Grundstein für die frühe Hip Hop-Bewegung in Linz legte – und bis heute den Unterschied zur Wiener Szene ausmacht.
Seinerzeit war Hip Hop hierzulande noch nicht wirklich angekommen. Somit pilgerten Oberösterreichs DJs in die Münchner Plattenläden „Optimal“ und „W.O.M“, unter Breakdancern, Graffiti-Writern und Rappern herrschte ein reger Austausch und in weiterer Folge entstanden die ersten größeren Hip Hop Jams, sowie Kollaborationen wie „Kaleidoskop“ – ein Bandprojekt der Linzer Urgesteine „Texta“, „Blumentopf“ aus München und „Total Chaos“ aus Innsbruck. Textas Musik hört auch der Münchner Graffiti-Pionier LOOMIT gerne. Dieser malt 1985 den allerersten Zug in Deutschland und gestaltete 2015 eine großformatige Wand in der Linzer Hafengalerie mit einem seiner ikonischen Schriftzüge – sein Werk wird nun um den Triebwagen aus seiner Heimatstadt ergänzt.
Ab sofort wird der alte Wagon selbstverständlich als Leinwand genutzt, besser gesagt als Kunstobjekt, als stählerner Kulturvermittler im Rahmen von Führungen. Denn es macht – im wahrsten Sinne des Wortes – einen großen Unterschied, ob man lediglich ein Foto eines bemalten Zuges betrachtet, oder diesen hautnah erleben kann. Auf diese Weise kann auch ein Laie nachvollziehen, warum die besondere Ästhetik unterschiedlichster Zugmodelle Sprüher auf der ganzen Welt in ihren Bann zieht.Die Linzer U-Bahn wird ihre eigene Geschichte schreiben, so wie die Mural Harbor Gallery selbst. Eine Subkultur kann und soll nicht kuratiert werden, Künstler und Wände müssen sich selbst finden und organisch zum Gesamtkunstwerk zusammenwachsen.
Das Risiko, dabei Fehler zu machen, wird bewusst in Kauf genommen, Experimente sind nicht nur erwünscht, sondern Pflicht. Ein solches Experiment ist auch die U-Bahn. Man wird sich dem Diskurs innerhalb der Szene stellen müssen, ob das sakrosankte „Trainwriting“ kommerziell verhandelt werden darf. Und man wird vielleicht auch als Galeriebetreiber von der Eigendynamik überrascht sein, die die bloße Anwesenheit eines solchen Leckerbissens in der Szene entwickeln wird. Was auch immer passieren wird – die Mural Harbor Tour-Guides werden davon berichten.
Dieses Projekt ist nur durch die Unterstützung der Stadtwerke München, der Münchner Verkehrsgesellschaft, der LINZ AG und durch eine einmalige Investitionsförderung des Magistrat Linz möglich.