Das Buch schlug in der Gastro-Szene ein wie eine Bombe: „F***ing Gastro“ vom Linzer Gastronom Günter Hager. Rauchverbot, Registrierkassenpflicht, Allergenverordnung, Vereinsfeste, Mitarbeitermangel… Österreichs Gastronomie kämpft an vielen Fronten ums Überleben. Der ebenso erfolgreiche wie streitbare Hager hat seine Erlebnisse aus 45 Jahren Gastronomie in einem Buch zusammengefasst: Darin serviert der leidenschaftliche Wirt sein Herz auf der Zunge und spricht aus, was viele denken. Exlusiv auf LINZA.at – eine Leseprobe des schonungslosen Werks:
Wie im schlechten Film
Etwas unrasiert, die Haare mit nassem Kamm nach hinten frisiert, Wohlstandsbäucherl, „feiner Zwirn“ in Form eines dunkelblauen, abgenutzten Trainingsanzugs. Die drei in Gold gehaltenen Adidas-Streifen leuchten wie die Sterne eines US-Army-Generals: Ganz unverkennbar das Branding eines frisch „Zuagrasten“ aus einem östlichen Staat – oder eines „Österreichers mit Migrationshintergrund“, wie es politisch korrekt heißt. Kein Vorurteil, sondern schlicht und einfach Routine aus 45 Jahren Gastronomie. Bei täglich etwa tausend Gästen aus allen Winkeln Europas und „dem Rest der Welt“ entwickelt man schnell ein sensibles Gespür für Typen und Nationalitäten.
Der gute Mann – nennen wir ihn Igor – wollte weder ein Menü ordern noch einen Tisch reservieren, er brauchte Geld. Denn als Igor unseren im schwarzen Sakko gekleideten und mit einem gut leserlichen Namensschild ausgestatteten Oberkellner Kumari erblickte, winkte er ihn umgehend mit einem forschen „Hallo-hallo!“ herbei. Kumari*, unser Kollege aus Pakistan, ist ein fleißiger und zuvorkommender Kellner. Natürlich eilt er sofort zum vermeintlichen Gast.
Und natürlich beugt er sich auch ganz nahe zu Igor, als dieser ihn mit einer kleinen Handbewegung darum bittet. Und jetzt kommt’s! Mit leiser, rauer Stimme, im Stile eines erstklassigen Marlon-Brando-Doubles, flüsterte der Reserve-Pate dem fassungslosen Kumari ins Ohr: „Diese Restaurant zahlen 2.000 Euro, dann nix Problema!“
Oha! Kumari dachte zunächst, hier unfreiwillig die Hauptrolle bei „Versteckte Kamera“ zu spielen. Als aber weder eine Kamera auftauchte, noch ein Moderator hinter dem Blumentopf hervorsprang, war er doch einigermaßen verunsichert. Er nickte verwirrt und versuchte es mit einem an dieser Stelle doch nicht so ganz passenden Lächeln. Kurz darauf stand Kumari vor mir, und ich musste erfahren, dass das, was ich bisher für blödsinnige Klischees von billigen Hinterhof-TV-Produktionen gehalten hatte, plötzlich in meinem eigenen Lokal Wirklichkeit wird: Schutzgelderpressung!
Möglichst unauffällig zeigte mir Kumari, wo dieser auf einen flotten Umsatz bedachte Herr saß. Mein erster Eindruck: Hier handelte es sich um jene Art von Zeitgenossen, mit denen man weder Kirschen noch sonstige Nahrungsmittel essen sollte. Was sollten wir tun? Uns mit lautem Gebrüll auf ihn stürzen, ihn niederringen, in den Schwitzkasten nehmen und das gut 110 kg-Bröckerl aus dem Lokal zerren? – Wohl eher schlechte Optionen, mit der hohen Wahrscheinlichkeit eines üblen Ausgangs. Schließlich hatten wir einen anderen Plan: Ich bat einen Freund und lieben Gast, sich neben den Möchtegern-Erpresser an die Bar zu setzen. Schließlich, das liest man ja in jedem Kriminalroman, braucht es Zeugen, wenn man ein Verbrechen beweisen will. Mein Freund nahm nah bei Igor Platz und der tapfere Kumari wagte sich ein zweites Mal zu dem unheimlichen Gast. Um ehrlich zu sein: Der mit allen Wassern gewaschene Supergauner mit Mafiakontakten war unser Igor dann wohl doch nicht. Brav bestätigte er – quasi fürs Protokoll – nochmals sein Ansinnen samt der Drohung: „Sonst was passieren.“ Unser Zeuge hörte alles einwandfrei mit, und selbst ich, der ich fünf Meter entfernt von Igor saß, konnte große Teile des „Businesstalks“ verfolgen! Da war also nicht nur ein gehöriges Maß an Frechheit, sondern auch eine ordentliche Portion Dummheit im Spiel. In Erwartung der Erfüllung seiner „Honorarwünsche“ über 2.000 Euro (ob inklusive oder exklusive Steuern stand noch nicht zur Diskussion) blieb er grimmig blickend, aber äußerlich cool an der Bar sitzen. Sein frisch gezapftes Josef-Bier in der Hand, wartete er seelenruhig auf das Schutzgeld. Und wartete, während ich mich hinters Handy klemmte und den Polizeinotruf wählte.
Auch wenn der Polizeichef ein sehr lieber langjähriger Freund von mir ist – mit dem Telefondienst des Polizei-Einsatzkommandos hatte ich immer meine Probleme. Die betreffende Stelle erscheint mir – na sagen wir mal – nicht besonders serviceorientiert. Ich erklärte dem zuständigen Inspektor am anderen Ende der Leitung den Sachverhalt. Und bat – wissend, dass es mit der Beweislage in solchen Fällen meist sehr kompliziert ist –, zwei verdeckte Ermittler, also Beamte in Zivil, vorbeizuschicken. Soviel ich wusste, hatten immer einige von ihnen Dienst in der Innenstadt. Sie könnten sich neben Igor an der Bar platzieren, während wir ein weiteres Mal versuchen würden, uns den Erpressungsversuch bestätigen zu lassen. Einer Verhaftung samt entsprechender hochverdienter Bestrafung stünde dann nichts mehr im Wege. Klingt nach gutem Plan, aber weit gefehlt.
Der Polizeibeamte, der an diesem Tag Telefondienst hatte, klärte mich – im zackigen Befehlston – auf: „Lieber Herr Josef-Wirt, erstens haben wir an diesem Wochenende keine verdeckten Ermittler im Einsatz. Und zweitens sind eh ein paar Polizeistreifen in der Nähe. Die werden sich aber wegen Ihrem Schutzgeld-Erpresser sicher nicht extra umziehen.“ Schließlich aber doch: „Also, ich schicke Ihnen zwei Uniformierte vorbei!“ Etwa 15 Minuten später: Der Möchtegern-Erpresser hatte sein Bier inzwischen fast ausgetrunken und wartete noch immer auf die geforderten 2.000 Euro. Die Polizisten erschienen, baten den Herrn vor das Lokal und begannen mit den Ermittlungen. Ich hoffe,
es lag nicht an unserem Bier, aber auf einmal war Igor (er kam aus Rumänien) der deutschen Sprache nicht mehr mächtig. Er sprach ausschließlich in einem unverständlichen, vermutlich rumänischen Dialekt. Die „Open Air“ Befragung vor dem Lokal schien er weniger zu mögen, denn er versuchte mehrmals zu fliehen. Letztendlich mussten ihm die Polizisten Handschellen anlegen und ihn abführen. Unsere Nachfrage ergab, dass er bereits am nächsten Tag wieder freigelassen wurde. Grund: „Fehlende Beweise“, er habe in seinen Aussagen darauf hingewiesen, dass alles ein Irrtum sei und er ja gar nicht Deutsch könne. Wie solle er da jemanden erpressen?
Unsere drei Zeugenaussagen halfen nichts. Einzige Konsequenz: Unser Oberkellner Kumari trägt seit diesem Tag sein Namensschild nicht mehr. Er hat Angst um seine Frau und seine zwei Kinder. Und von meinem Glauben an die Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft ist schon wieder ein Stückchen abgebrochen.
Infos zum Buch: http://www.guenterhager.at/