Er ist neben Zeit im Bild-Anchorman Tarek Leitner und „Mister Formel 1“ Ernst Hausleitner das dritte bekannte Linzer Gesicht beim ORF: Hans Bürger. Der 61-Jährige folgte 1993 nach Stationen in der OÖ Krone und im ORF Landesstudio OÖ dem Ruf nach Wien, wo er als Innenpolitik- und EU-Ressortleiter zu den führenden Köpfen im Zeit im Bild-Team zählt. Seit kurzem ist Hans Bürger Mitglied im Kuratorium/Beirat des FC Blau-Weiß Linz. Wilhelm Holzleitner plauderte mit dem sympathischen „Für-immer-Oberösterreicher“.
Hans Bürger – in unserem Vorgespräch hast Du dich als ‚Radikaloberösterreicher‘ bezeichnet. Da bin ich jetzt gespannt, wie und in welcher Form diese Radikalität von einem, der seit 1993 in Wien (mit kurzem Brüssel-GastspieI, Anm. ) wohnt, gelebt wird.
Ich falle in der Bundeshauptstadt immer sehr unangenehm auf, weil ich mein ‚Oberösterreichertum‘ bei jeder passenden, aber auch unpassenden Gelegenheit vor mir hertrage. Wenn ich zum Beispiel irgendwo Oberösterreicher treffe, was bei 70.000 Oberösterreichern in Wien natürlich ohne Unterbrechung passiert, wird’s schnell lustig und ich stimme das ‚Hoamatland‘ an. Ich habe das Lied hier mindestens schon 150mal gesungen. Natürlich gefällt das nicht allen und ich gehe sogar auch so manchem Oberösterreicher auf die Nerven. Mancher sagt „Du bist nach den vielen Jahren hier sowieso scho a echta Weana!“
Und – bist du das eigentlich ja eh wirklich – zumindest ein bisschen nach so vielen Jahren in Wien?
Nein – ich werde mein ganzes Leben lang kein Wiener sein. Meine Frau sagt immer „Wenn ihr Oberösterreicher euch in Wien so unwohl fühlt, warum bleibt‘s dann ned daham?‘ (lacht). Gäbe es die Zeit im Bild in Linz, wäre ich sicher in Oberösterreich geblieben. In einem Satz zusammengefasst: Mein Herz ist in Linz, mein Hirn ist in Wien. Diese innere Spaltung ist auch nach 26 Jahren immer noch da.
Und wie oft geht sich noch ein Besuch in Linz und Oberösterreich aus?
Viele Freunde habe ich seit dem 16. Lebensjahr, meinen besten Freund kenne ich seit der Volksschule in St. Martin bei Traun. Seit ich aber selber Vater bin, sind Besuche zuhause seltener geworden. Alle zwei Monate geht sich‘s aber immer noch aus, weniger würde ich gar nicht aushalten. In den Anfangsjahren bin ich dreimal pro Woche heimgefahren. Vom ehemaligen Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl habe ich erfahren, dass er sogar jeden Tag mit seinem Chauffeur heim nach Oberösterreich fuhr.
War das immer schon ein großes Ziel, einmal zur Primetime ‚on air‘ zu sein?
Nein, überhaupt nicht. Ich war im Schlusssemester des Volkswirtschaftsstudiums, war da als Ferialjob als Bote bei der OÖ Kronenzeitung tätig. Da hat mit der damalige Ressortleiter Joe Kaspar, dem ich so viel zu verdanken wie kaum jemand anderem, gesagt: „Wollen‘s ned amoi was schreiben?“ nach einem knappen ‚Ja‘ hat er gesagt „Dann gengan’s glei auf a Pressekonferenz!“ Ich hab‘ noch gefragt, was das denn überhaupt ist, so unerfahren war ich. Die Pressekonferenz hielt der damalige ÖVP-Landesrat Johann Winetzhammer, das weiß ich noch genau. Der Artikel ist dann am nächsten Tag in der Kronenzeitung erschienen – die Zeitung hatte damals noch 480.000 Leser, ich war unendlich stolz auf meine Zeilen. Ich habe mich bei der Krone irrsinnig wohl gefühlt, das Problem war aber: Es gab keine Fixanstellung.
Dann kam der Einstieg beim ORF Landesstudio OÖ.
Meine Mutter hat irgendwann gesagt: „Tu doch beim ORF Talentewettbewerb mit.“ Ich meinte nur: „Die beim ORF in Wien werden ganz bestimmt auf den Hansi Bürger warten“ und habe mich erst am allerletzten Tag beworben. 4.000 aus ganz Österreich machten mit, am Ende wurden drei genommen – einer davon war ich. Sie suchten jemanden mit Wirtschaftsstudium und journalistischer Erfahrung, das hat bei mir zu 100 Prozent gepasst. Ich wurde sofort eingestellt.
Deine journalistischen Anfänge begannen in der Linzer Redaktion der Kronenzeitung – damals noch ohne Computer, Handy und Internet. Das persönliche Gespräch, Fax und Telefon waren die einzigen Instrumente der Kommunikation. In welcher Erinnerung hast Du diese ersten journalistischen Jahre?
Ich gestehe, dass ich der alten Zeit schon sehr nachtrauere, weil die Schnelligkeit damals nicht alles dominiert hat. Ein Beispiel: Im alten Pressezentrum im Ursulinenhof wurde im Rahmen der Pressekonferenz immer zum gemeinsamen Mittagessen eingeladen. Einmal war es so gemütlich, dass einer in die Runde sagte: „Schreiben wir alle die Geschichte doch erst morgen und bleiben wir noch sitzen.“ Alle zehn anwesenden Journalisten von APA, Print, Funk und Fernsehen haben sich geeinigt und sind noch lange ‚huckengeblieben‘. Das muss man sich heute mal vorstellen. Jede Meldung wird innerhalb einer Sekunde online verbreitet. Es gibt einen 1:1 Informationsfluss, ohne nachzurecherchieren. Dies Entwicklung macht mir Angst. Bis zum Beginn der ‚unsozialen‘ Medien war das alles noch irgendwie im Rahmen. Aber seit wir nicht nur 8,9 Millionen Fußball-Teamchefs, sondern auch genausoviele Journalisten haben, halte ich diese Entwicklung für extrem bedenklich. Es kann nicht die Zukunft sein, dass jeder alles auf twitter & Co. verbreiten kann – egal, ob es stimmt oder nicht.
Früher hatten wenige Medien wie ORF, Krone und Kurier die journalistische Deutungshoheit. Sind die Recherchemöglichkeiten und die Vielfalt des Journalismus durch die Online-Kanäle nicht auch ein Stück weit besser geworden? Fakenews-Verbreiter oder Propaganda-Macher haben’s zwar einerseits leichter, sie lassen sich aber auch einfacher festnageln und widerlegen.
Schon, aber man muss das auseinanderhalten. Soziale Netzwerke, wo Menschen zusammenkommen, halte ich für wichtig und unglaublich toll. Das Problem ist: Wenn jemand beginnt, Dinge als Fakten hinzustellen, die weder recherchiert sind noch der Wahrheit entsprechen. Einmal gab es übers Internet einen Hinweis: „Atomunfall in der Ukraine, Radioaktivität tritt aus.“ Ich war einer der ersten, der das weitergetwittert hat. Die ORF Wetterredaktion hat das übernommen und berichtete über eine radioaktive Wolke, die sich auf Österreich zubewegt. So etwas wieder einzufangen, ist unmöglich. Nach einer halben Stunde stellte sich heraus, dass gar keine Radioaktivät ausgetreten ist. Es braucht Regeln, das so etwas nicht passiert. Etwa dass der Erst-Sender dieser Botschaft zur Verantwortung gezogen wird.
Sehr oft ist derzeit von einer politischen „Spaltung der Gesellschaft“ die Rede, die noch nie so schlimm sei wie heute. Aber mit Verlaub: Hat es das nicht immer schon gegeben? Beispiel: die Demos und Kundgebungen rund um die Wahl Kurt Waldheims in den 1980er-Jahren, als sich die Leute auf der Straße beinahe an den Hals gingen?
Ich bin seit 1985 Journalist ein Jahr später war die Waldheim-Geschichte. Die war schlimm, da gebe ich Dir völlig recht. Das ist durch den gesamten Freundeskreis gegangen und es wurde ähnlich gestritten wie heute. Aber nach der Wahl war Ruhe. In den Folgejahren war es auch relativ ruhig, aber jetzt ist diese aggressive Grundstimmung wieder da. Ich finde schon, dass 2015 ein Riss durch die Gesellschaft ging, der seitdem nicht kleiner wurde. Die ganzen Beteuerungen mancher Politiker, sie würden versuchen, die Gräben zuzuschütten: Ich sehe das überhaupt nicht.
Gegen manche Mitarbeiter des ORF gab es da und dort Kritik in Sachen Objektivität, weil sie auf Facebook und twitter politisch motivierte Postings oder Tweeds absetzten. Sollte man das als ‚Privatperson‘ nicht dürfen?
Es gibt unter den Kollegen andere Meinungen, aber ich finde, wir ORF-Journalisten sind auch in den sozialen Medien zur Objektivität verpflichtet. Denn was ist denn der Grund für die Popularität dieser Kollegen? Der ORF! Ich kann doch nicht twittern, ich bin gegen diese oder jene Partei und kurz darauf im Studio die Rolle des objektiven Journalisten spielen, das geht sich für mich nicht aus.
Bei Dir tun sich die Kommentatoren ein bissl schwer. In welcher Seite der Brust schlägt denn Dein Herz?
Mit etwas Stolz kann ich sagen, dass ich in der Öffentlichkeit wahnsinnig oft angesprochen werde. Nicht weil ich eine gute oder schlechte Arbeit mache, sondern meist kommt der Satz: „Bei Ihnen merkt man keine politische Gesinnung.“
Wie viel politische Einflussnahme gibt es auf den ORF und Deine Arbeit?
Als ich nach Wien kam, dachte ich mir: Das gibt‘s ja alles gar nicht. Dieser unglaubliche politische Druck und der Versuch der Einflussnahme, der immer da ist und im Wesentlichen über die Jahre immer gleichblieb. Solange der ORF dermaßen politisiert ist – Stichwort Stiftungsrat – wird sich das auch nicht ändern. Mit den Jahren sieht man das aber immer gelassener.
Wenn Du auf Deine bisherige Tätigkeit im ORF zurückblickst: Was war denn der bislang dreisteste Versuch der Einflussnahme?
Ohne Namen von Politikern zu nennen: Es gab schon ganz besonders dreiste Vorfälle, wo sogar mein beruflicher Werdegang angesprochen wurde: „Wennst das nicht so machst, werden wir schauen, wie es mit dir weitergeht.“ Dieser Satz ist schon mehrmals gefallen (lacht). Das Lustige an dieser Sache: Niemand dieser Leute ist heute noch in der Politik oder hat es nach oben geschafft, die haben’s offensichtlich alle übertrieben.
Du hast bereits drei Bücher über die Wechselbeziehung zwischen dem Menschen und der Wirtschaft geschrieben. Warum keine politischeren Bücher?
Die Bücher sind sehr politisch, nur hat sie vielleicht keiner richtig gelesen (lacht). Da steht auch genau drin, wie ich denke: Ich bin für eine soziale Absicherung jener Menschen, die das brauchen. In meinem vierten Buch beschäftige ich mich mit der Frage, was der Mensch macht, wenn es keine Arbeit mehr gibt.
Du sprichst die Digitalisierung der Arbeitswelt an. Wird’s wirklich so schlimm kommen? Ein Jobbabau im großen Stil wird uns seit Beginn des Internetzeitalters im Zweijahres-Rhythmus prophezeit. In Wirklichkeit aber stieg die Anzahl der Arbeitsplätze jedes Jahr.
Ich glaube der Prognose, dass durch die Digitalisierung 50 Prozent der Arbeitsplätze wegfallen. Jeder seriöse Experte sagt, dass sich die Arbeitswelt dramatisch ändert. Bisher wurden nur einzelne Arbeitsschritte ausgelagert. Neu ist jetzt, dass der Computer sich selber Schritte ausdenkt, sein Tun quasi selbstständig ‚repariert‘. Das selbstfahrende Auto etwa lernt ständig dazu. Wer heute in eine Bank geht, steht in einer Geisterhalle. Die Pflegekräfte sind bald Roboter, die Busse, Lastwagen und Autos kommen ohne Fahrer aus. Bei uns im Haus werden jetzt die Regieassistenten abgeschafft. Das Fernsehen wird in einem vollautomatischen Studio produziert. Du stellst dich auf deinen Punkt und fertig. Wie das alles ohne Arbeitsplatzverlust vor sich gehen soll, weiß ich nicht.
Frage an den ‚Volkswirtschaftler‘ Hans Bürger: Wie kann eine Lösung aussehen?
Wir müssen uns überlegen, was wir mit all den Leuten tun werden. Um auch eine politische Botschaft loszuwerden: Eine Idee, die ich unterstütze, ist das bedingungslose Grundeinkommen.
Bei diesem Thema gehen die Meinungen ja ebenfalls extrem auseinander.
Das Originelle daran ist, dass jetzt gerade die Linken ‚Skandal‘ schreien. Sie drehen die eigene Idee um und behaupten, eigentlich ist das alles ein Plan der Neoliberalen, damit die Unfähigen nicht auf den Arbeitsmarkt drängen und eine Ruh‘ geben. Also was jetzt? (lacht)
Zurück nach Oberösterreich: Wird es für Dich irgendwann eine Rückkehr nach Linz geben?
Das musst Du meine Frau fragen (lacht). Sie liebt im Unterschied zu mir die Großstadt, ich sehne mich nach der Natur. Ich kann mir jedenfalls nur schwer vorstellen, meine Pension in Wien zu verbringen.
Bekannte Journalisten zieht es immer wieder in die Politik. Dein ZIB-Kollege Armin Wolf hat das für sich vor kurzem dezidiert ausgeschlossen. Können wir Dir auch ein Nein für eine Polit-Karriere abringen?
Das ginge nur nach der journalistischen Laufbahn, ein Umstieg käme für mich nicht infrage. Ich wüsste auch nicht, für welche Partei ich kandidieren sollte. Wenn, dann gründe ich wohl eine eigene Partei.
Und wie wird die dann heißen?
Na wie schon: Die ‚Bürger-Partei‘ natürlich. (lacht)