Im Linzer Süden war vor kurzem geplant, 13 ha landwirtschaftlich genutzte Fläche mit einer XXL-Photovoltaikanlage zuzubauen. In wertvollen Mühlviertler Waldgebieten sollen in den nächsten Jahren bis zu 100 neue Windräder mit 260 Metern Höhe entstehen. Die Natur zerstören, um mit der „Energiewende“ die Umwelt zu retten – für viele passt das nicht zusammen. „Die Frage ist: Was ist der Preis, den wir alle dafür bezahlen müssen und was bekommen wir dafür?“, sagt Umweltanwalt Martin Donat.
Mittlerweile 260m hoch sind moderne Windkraftwerke (das entspricht der doppelten Höhe des Neuen Linzer Doms), die inmitten von intakten Wäldern, die zuvor gerodet und mit bis zu 40 Meter breiten, kilometerlangen Zufahrtsschneisen erschlossen werden müssen, gebaut werden. Bereits zuvor wurden speziell in Oberösterreich Wasserkraftwerke, die im vorigen Jahrhundert viele Quadratkilometer wertvoller Flusslandschaften und freier Fließstrecken zerstört haben, errichtet. Die Traun etwa gleicht zwischen Wels und Traun großteils einem Kanal, der kilometerlange Staubereich vor dem Donaukraftwerk Asten ebenso. Und jetzt noch riesige Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlichen Flächen: Eine Energiewende, die die Natur schützen will, diese aber zerstört – eigentlich völlig absurd.
Windkraft nur eine „Randnotiz“?
Wobei auch klar ist: Windräder werden niemals den enormen Energiehunger stillen können. Alleine um den Energiebedarf der voestalpine mit Windkraft zu decken, bräuchte es in OÖ 4.500 solcher Windräder, derzeit gibt es in unserem Bundesland gerade mal 31 Stück. Wobei: Strom macht in Österreich nur ein Fünftel des Gesamtenergiebedarfs aus – oder 73 von 420 TWh. In Summe liefert die Windkraft lediglich 1,9% des Bruttoinlands-Energieverbrauches – selbst bei einem starken Ausbau würde sich das nicht grundsätzlich ändern.
Zum Vergleich: Deutschland produziert bereits 142 TWh Strom mittels Windkraft – das entspricht einem Drittel des Jahresverbrauchs Österreichs. Unsere Nachbarn betreiben dafür aber die gigantische Zahl von mehr als 30.000 Windkraftanlagen, in Österreich sind es aktuell gerade mal 1.426 Stück. 30.000 Windräder in Österreich – man würde dieses Land nicht mehr wiedererkennen, die Natur könnte z’sammpacken.
Dass ausgerechnet die wertvollen Waldgebiete im nördlichen Mühlviertel in den Fokus der Windkraftwirtschaft rücken, lässt bei vielen die Alarmglocken schrillen. In Bayern (Nationalpark Bayerischer Wald) und in Südböhmen (Nationalpark Sumava) sind die dortigen Wälder großflächige, geschützte Tabuzonen, im angrenzenden Mühlviertel gibt es hingegen kaum noch naturbelassene, zusammenhängende Waldflächen. Geraden die waldreichen Gebiete rund um Sande, Schenkenfelden und Bad Leonfelden sind aktuell im Fokus und sollen „windbewirtschaftet“ werden.
Natur immer nachrangig
Bei der gut gemeinten „Verkehrswende“ ist ähnlich: Die geplante (und unverzichtbare) Linzer Stadtbahn etwa wird zu beträchtlichen Teilen durch sichtbewohntes Stadtgebiet verlaufen und damit die Lebensqualität im 15min-Takt belasten. Statt die Strecke kompromisslos unterirdisch zu planen (warum hat eigentlich niemand am Radar, dass andernfalls ganz Urfahr vom Westen und vom Osten her mit einer 12 Meter breiten oberirdischen Bahntrasse inklusive aller Begleiterscheinungen (Lärm, Gefahr, Verkehrsbehinderung, enorme Eingriffe in die Natur) durchschnitten wird?), soll so billig wir möglich gebaut werden, ohne Rücksicht auf den „Menschenschutz“ (ja, auch wir sind ein Teil von Natur und Umwelt und daher schützenswert) – von der Zerstörung des Naherholungsgebiets entlang des Donaudamms zwischen VOEST-Brücke und Pleschingersee und des erst vor einigen Jahren renaturierten Donau-Begleitgerinnes ganz zu schweigen.
„Erst die Energiewende, um die Natur und die Umwelt kümmern wir uns später, das wird so nicht funktionieren“
OÖs Umweltanwalt Martin Donat
„Lieber oberirdisch als gar nicht“
Abgesehen davon wird durch die oberirdische Streckenführung enorm viel Platz verbraucht (5km zweigleisiger Schienenstrang benötigen sechs Hektar Stadtfläche, plus aufwändiger Lärmschutzmaßnahmen). Der ehemalige Linzer Infrastruktur-Stadtrat Markus Hein sagte es vor einigen Jahren in einem persönlichen Gespräch ganz offen: „Lieber oberirdisch als gar nicht. Wenn wir die Stadtbahn in Linz unterirdisch fordern, kriegen wir das in Wien nie durch.“ Heißt: Lieber zukunftsvergessen billig und mit enormer Belastung für Mensch & Umwelt bauen statt mit größtmöglichem Nutzen für nachfolgende Generationen und bestmöglichem Schutz der Umwelt.
In Wien käme kein Mensch auf die absurde Idee, eine S- oder U-Bahnstrecke oberirdisch mitten durch Wohngebiete zu bauen. Dort fließen in dem nächsten Jahren übrigens sechs Milliarden Euro in den Bau der U bahn-Linien U2 und U5 – kein Politiker würde dort aus Kostengründen eine oberirdische Streckenführung fordern. Und falls doch, könnte er wohl am selben Tag sein Binkerl z’sammpacken.
Sackgasse Transformation
Warum müssen öffentliche Energie- und Verkehrsprojekte immer zulasten der Natur, der Umwelt und vorm allem der Lebensqualität der Menschen gehen? Warum gilt hier immer „Billig statt besser“, während man bei anderen Dingen das Geld mit allen zur Verfügung stehenden Händen beim Fenster hinauswirft? „Erst die Energiewende, um die Natur und die Umwelt kümmern wir uns später, das wird so nicht funktionieren“, sagt auch OÖs Umweltanwalt Martin Donat völlig richtig.
Diese Art von Transformation, die in hübsche Begriffe wie „Energiewende“, „Verkehrswende“ und „Klimaschutz“ verpackt wird, bieten Anlass zur Sorge. Was nutzen „erneuerbare“ Energiequellen und „CO2-neutrale S-Bahnen“, wenn wir dafür unsere Naturlandschaften opfern? Windrad- statt Fichtenwälder, Photovoltaik- statt Sonneblumenfelder und S-Bahnen, die durchs Wohnzimmer und die letzten innerstädtischen Naherholungsgebiete fahren, können nicht der Plan für eine bessere Zukunft sein. Andererseits: Das bisschen „Natur“, das nach der Rettung der Welt übrig bliebe, bräuchten dann auch keinen Schutz mehr.
Kommentar
Die Energiewende duldet keinen Aufschub – und sie macht offensichtlich auch keine Gefangenen. Auch die Natur muss ihren Beitrag dazu leisten, und überhaupt: Die Natur soll bitte nicht aufmucken, sie ist schließlich ja der Haupt-Nutznießer, denn sie soll durch die Energiewende ja bitteschön geschützt und „gerettet“ werden. „Erst die Energiewende, um alles andere kümmern wir uns später“ – so das Motto.
Der erste große (und wegen des Verzichts auf Atomenergie in Österreich leider nötige) Raub- bau an unserer Natur fand Ende des vorigen Jahrtausends statt, als unsere Fluss- und Auenlandschaften völlig zukunftsvergessen und unsensibel in kanalartige Staubecken verwandelt wurden. Jetzt – 40, 50 Jahre später kommt man drauf, was man damals angestellt hat und errichtet nachträglich Flachwasserzonen, schüttet Kiesbänke auf, gräbt Seitenarme, baut Fischaufstiegshilfen und freut sich über die Rückkehr von Biber, Otter, Storch und fast schon vergessene Fischarten. Ob wir in ein paar Jahrzehnten auch bereuen werden, wenn wir im Mühlviertel statt durch Nadelwälder an dutzenden fast 300 Meter hohen „Stahlbäumen“ vorbeiwandern? Nur – was wollen wir dann tun? Die 260 Meter hohen Türme lassen sich nicht behübschen, begrünen oder mit seltenen Tieren wiederbesiedeln.
JA: Bitte baut Windräder, Solaranlagen und alles, was der Energiewende Wind unter den Flügeln verleiht. Aber seid nicht (schon wieder) so zukunftsvergessen, dass der Tier-, Umwelt- und Menschenschutz vor lauter CO2-Hysterie vernachlässigt wird. Die Energiewende ist wichtig, wiegt aber nicht schwerer als der Schutz unserer Naturlandschaften, unserer Flora und Fauna. Die Zeit des Drüberfahrens (meist wegen des Geldes, denn die Windkraft ist vor allem für die Betreiber hochprofitabel) muss vorbei sein – und ist auch unter dem Deckmantel des Klimaschutzes ein absolutes No-Go.