AUFZEIGER – die regelmäßige Kolumne von Franz Zeiger, dem Geistlicher der Pfarre Linz-St. Peter, der u. a. für die Linzer Tiersegnung bekannt ist.
Neulich ist mir eine unglaubliche Geschichte zu Ohren gekommen. Na ja, vielleicht ist sie gar nicht so unglaublich. Jedenfalls hat sie mich sehr nachdenklich gemacht: Eine Frau mittleren Alters kauft sich im Schnellrestaurant eine Suppe. Sie trägt den dampfenden Teller an einen der Stehtische und hängt ihre Handtasche darunter.
Da bemerkt sie, dass sie den Löffel vergessen hat. Also geht sie noch einmal zur Theke und holt sich den fehlenden Löffel. Als sie zurückkehrt, sieht sie am Tisch einen dunkelhäutigen Mann. Aber was macht der? Der löffelt doch tatsächlich ihre Suppe! „Eine bodenlose Frechheit! Typisch Ausländer!“, denkt die Frau empört. Sie drängt sich neben ihn, sieht ihn strafend an und taucht wütend ihren Löffel ebenfalls in die Suppe.
Die beiden sprechen kein Wort, aber nach dem sie die Suppe gemeinsam gelöffelt haben holt der Mann für beide einen Kaffee. Erstaunt bedankt sich die Frau mit einem Lächeln. Gemeinsam trinken sie schweigend den Kaffee, dann verabschiedet sich der Mann höflich und geht.
Plötzlich kommt der Frau ein Gedanke… sie schaut unter den Tisch und fährt zusammen …. Wo ist ihre Handtasche? „Habe ich es mir doch gedacht …. so ein Betrüger! Jemand, der andere frech bestiehlt – ein gemeiner Dieb! Na, ich hab‘s ja gleich gewusst!“ Suchend geht der Blick der Frau durch das Restaurant. Aber der Mann ist bereits verschwunden. Während sie sich noch darüber ärgert fällt ihr Blick auf den Nachbartisch – und sie erstarrt: Dort hängt ihre Handtasche. Und auf dem Tisch steht einsam ein Teller Suppe, der inzwischen kalt geworden ist.
Ich weiß nicht, ob sich die Geschichte wirklich so zugetragen hat. Mag sein. Vielleicht ist sie aber auch nur gut erfunden.