Am 22. Januar 2014 – also vor ziemlich genau einem Jahr – legte Josef Ackerl sein Amt als SPOÖ-Vorsitzender zurück. Ruhiger oder gar handzahm ist der nach wie vor streitbare und angriffige Polit-Pensionist aber dennoch nicht geworden. Facebook-Postings wie „Tussi“ (über Team Stronach-Vorsitzende Kathrin Nachbaur) oder „Sandküberlhirn“ (über VP-Vizebürgermeister Bernhard Baier) sorgten zuletzt sogar parteiintern für Zoff.
Am 22. Jänner jährte sich ihr Abschied zum ersten Mal. Wie geht’s Ihnen im politischen Ruhestand?
Es ist jetzt einfach eine andere Lebensqualität, auch wenn ich meinen Job immer sehr gerne gemacht habe. Ich bin froh, dass ich weg bin – und das, so glaube ich, auch zum richtigen Zeitpunkt.
Gar kein Pensionsschock?
Absolut nicht. Das Wegfallen von Muss-Terminen und Verpflichtungen war zwar ungewohnt, ging aber innerhalb kürzester Zeit. Die ersten paar Tage waren natürlich schon etwas komisch, wenn du auf einmal nicht um sechs in der Früh aufstehen musst und kurze Zeit später schon den ersten Termin von vielen hast. Ich habe zudem sehr rasch einige ehrenamtliche Aufgaben übernommen und bin zusätzlich in der Stiftung der SPÖ Vorstandsvorsitzender, da gibt es genug zu tun.
Was sind die großen aktuellen Probleme unserer Gesellschaft?
Über die Globalisierung gehört viel mehr gesprochen und diskutiert. Im Vergleich zu dem, was sie uns kostet und was sie Europa bringt: Da kommt man ins Grübeln. Wenn es sogar bei uns ganze Bevölkerungsschichten gibt, denen es schlecht geht, obwohl sie Arbeit haben, aber zu wenig zum Leben verdienen, ist das ein Wahnsinn. Was ist das für ein System, in dem Fußballer für einen Shampoo-Werbespot mehrere Millionen bekommen und gleichzeitig die Arbeiter in der Herstellerfirma einen beschämend niedrigen Stundenlohn erhalten?
Das geplante TTIP-Freihandelsabkommen ist ebenfalls so ein umstrittenes Thema. Wie stehen Sie dazu?
Das ist eine absolute Schmähpartie. Man braucht sich ja nur anschauen, wie die Steuerleistungen internationaler Großkonzerne bei uns jetzt schon ausschauen. Würden diese Konzerne ordentliche Steuern abführen, könnten alle Menschen mit einem niedrigeren Steuersatz schöner und besser leben.
Arbeitslosigkeit ist DAS große Thema nicht nur in Linz und Oberösterreich. Die aktuelle Politik beißt sich daran die Zähne aus. Welche Ideen hätte ein Josef Ackerl dazu?
Konkrete Vorschläge sind sehr schwer, weil alles mit den fehlenden öffentlichen Investitionen zusammenhängt. Und solange die Sturheit besteht, weiter keine Vermögenssteuern einzuheben, fehlen genau jene finanziellen Mittel, um diese Investitionen zu tätigen. Das würde auch das Wirtschaftsklima positiv beeinflussen. Ich glaube, wir haben daher eher ein klimatisches als ein reales Nachfrageproblem. Diese Unsicherheit überträgt sich auch auf die Bevölkerung, die aus Angst vor einem Arbeitsplatzverlust eher spart als Geld ausgibt.
Irgendwie hat man den Eindruck, dass Sie gerne noch ein wenig auf der Polit-Bühne geblieben wären. Josef Pühringer ist gerade mal drei Jahre jünger als Sie – und kandidiert für sechs weitere Jahre.
Ich wollte immer spätestens mit 65 Schluss machen, bin dann aber noch fast bis 68 geblieben. Ein politisch interessierter Mensch zu sein, beinhaltet nicht, auch eine politische Funktion ausüben zu müssen.
Speziell auf Facebook sorgen Sie immer wieder für reichlich Diskussionsstoff.
Wenn ich heute auf Facebook aktiv bin, halte ich mich, was die SPÖ betrifft, aus der politischen Diskussion heraus. Meine Nachfolger sind sehr gut unterwegs und brauchen keine Tipps von außen.
Sie fielen zuzletzt öfters durch markige, kantige Sätze auf. Stichwort Stronach-Tussi Nachbaur oder „Sandküberlhirn“ Baier. Sie gefallen sich ganz offensichtlich nach wie vor als öffentlicher Provokateur.
Wie Sie sicher wissen, hatte ich immer schon einen direkteren Sprechstil als andere. Ich habe nie lange herumgeredet, sondern bin immer gleich auf den Punkt gekommen. Wenn man etwas deutlicher und prägnanter sagt, findet man auch mehr Anklang und Verständnis – und genau darauf lege ich es an.
Sie wirken nach wie vor sehr streitbar und agil. Gibt es unerledigte Dinge, die Sie noch gerne abgearbeitet hätten?
Dazu möchte ich nur einen ganz bekannten Satz von Bruno Kreisky zitieren: „Der Sinn des Lebens liegt im Unvollendeten.“ Ich habe das Amt von meinem Vorgänger mit nicht abgeschlossenen Projekten übernommen und auch ich habe einiges an meine Nachfolger weitergegeben, das ebenfalls noch vollendet werden muss.
Beim Namen Josef Ackerl fällt oft der Satz „das ist einer von der alten Garde“. Sind die echten Sozialisten eine aussterbende Spezies?
Es gibt auch heute noch viele junge „echte“ Sozialisten. Man darf aber eines nicht vergessen: Die Biographie, die wir hatten, ist eine ganz andere. Wir haben noch die Folgen und Schäden des zweiten Weltkrieges mitbekommen. Und auch die damit verbundenen politischen Verwerfungen. Wir waren die Kinder der Aufbaugeneration und haben alleine schon deshalb einen ganz anderen Zugang. Wir sind mit Kreisky groß geworden und haben den damaligen Geist der Sozialdemokratie gelebt.
Und tragen die Jungen diesen Geist von damals weiter – oder ist da nichts mehr?
Wenn man die Verklärtheit der Alten Zeit beiseite schiebt, sehe ich ein großes Bemühen, die Dinge gut zu machen. Leider wird heute von der Politik verlangt, dass sie einen hohen Unterhaltungswert hat, aber das ist nicht das Wichtige. In Summe bin ich mit unseren Jungen sehr zufrieden.
War der junge Josef Ackerl frecher, wilder als die heutigen Jung-Sozis?
Bei uns war es damals so, dass die ältere Generation weit mehr Widerstand geleistet hat. Viel Freude hatten die oft nicht mit uns. Heute ist das anders. Es wird versucht, die nächste Generation mehr einzubinden. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir damals irgendjemand gehabt hätten, der uns Junge gefördert hätte. Es musste alles erkämpft werden, aber das schadet ja nicht.
Apropos Jugend: Was bei den Parteien die Alarmglocken schrillen lassen sollte, ist die hohe Politverdrossenheit. Ist das einfach ein Zeichen der Zeit oder doch hausgemacht?
Ich habe kein Rezept dafür, weil ich glaube, dass das ein Vermittlungsproblem ist. Wenn die Medienleute – egal ob Fernsehen oder Zeitung – von der heutigen Politik ein Bild zeichnen, das von Versagen und Nichtgelingen gezeichnet wird, aber keiner mitbekommt, was alles gelingt, entsteht in der Oberflächlichkeit der heutigen Zeit eben so eine Situation. Leider bringt anscheinend nur mehr eine negative Schlagzeile die nötigen Reichweiten.
Bitte um eine kurze politische Bestandsaufnahme der aktuellen politischen Situation in Oberösterreich: Gut so, wie es derzeit läuft?
Das Problem ist, dass die FPÖ und jene Kräfte, die nicht das allgemeine gesellschaftliche Wohl im Auge haben, mit ihren einfachen Zugängen zu viel Zuspruch haben. Das verstehe ich nicht, vor allem wenn ich daran denke, was die zwischen 2000 und 2006 alles gestohlen und verbrochen haben und was dort für Gangster tätig waren. Aber das betrifft ja nicht nur die Freiheitlichen: Auch in der ÖVP haben einige geglaubt, sie sitzen im Selbstbedienungsladen.
Was bei uns andererseits fehlt, ist eine entsprechende Rücktrittskultur in der heimischen Poltik. Wenn was schiefgeht, übernimmt keiner die Verantwortung.
Weil einer, der einen Fehler eingesteht, sofort von den Medien fertig gemacht wird. Die meisten haben Angst, eine Schwäche zuzugeben. Auch ein Politiker ist trotz allem ein Mensch mit all seinen Fehlern. Es gibt in der Politik keine Kultur im Umgang miteinander. In Wirklichkeit kommt’s nur drauf an: Wer hat mehr Freunde unter den Journalisten? Es gibt keine unabhängigen Medien in Österreich, da bin ich schon am vierten Tag meiner politischen Tätigkeit draufgekommen.
Absolute Mehrheiten gibt es nicht, das Parteienspektrum wird immer bunter. SPÖ und ÖVP haben auf Bundesebene keine 30 Prozent mehr. Gut oder schlecht?
Ich glaube, es ist ein großes Problem, dass es keine klaren Mehrheiten mehr gibt. Wenn eine Partei mit einer Idee daherkommt, bleiben am Ende oft nur mehr 30 Prozent über, weil man ständig Kompromisse machen muss. Der Kompromiss ist mittlerweile das maßgebliche Element in der Demokratie.
Im Herbst 2015 tritt zumindest eine neue Partei an. Wie schätzen Sie NEOS ein?
Manche Parteien agieren wie Sekten. NEOS gehört da für mich dazu. Die stellen einen Anspruch und der muss ohne Wenn und Aber erfüllt werden. Da wird eine Sicht vermittelt, die sehr egozentrisch ist.
Und wie geht’s dem SPÖ-Urgestein Josef Ackerl mit der derzeit omnipräsenten Islam-Diskussion?
Auch ich gehöre zu denen, die sehr verunsichert sind. Ich habe kein klares Bild, glaube aber, dass das Hauptproblem der Anspruch der Religionen auf die reine Wahrheit ist. Das aber steht keiner Religion zu – auch nicht dem Islam. Weder der Islam noch eine andere Glaubensrichtung darf gesellschaftspolitische Verhaltensregeln aufstellen. Und schon gar nicht akzeptiere ich den Islam als politische Gruppierung. Ein Glauben, der sich nicht an die österreichische Gesetzgebung halten will, ist inakzeptabel. Die wesentliche Voraussetzung für Integration ist das Akzeptieren und Einhalten rechtsstaatlicher Regeln.
Teilen Sie die Ängste, die manche Österreicher vor dem Terrorismus haben?
Das ist alles übertrieben und hat auch nichts mit dem Islam zu tun. Entscheidend ist die Frage: Wie kann man die Neigung, sich dem Terrorismus zuzuwenden, wieder auf Null zurückschrauben? Dass im Namen des Islam Kriege geführt und Anschläge verübt werden, ist vor allem für den Islam selbst dramatisch.
Welchen Ausweg gibt es da?
Die Menschen im Islam müssen selber aufstehen und was tun. Man darf aber nicht vergessen: Hauptschauplatz dieses Konflikts ist nicht Europa, sondern Syrien, Irak, Mali, Nigeria und Libyen. Der große Fehler Europas und der USA war, dass man vor Jahren glaubte, sich mancher Diktaturen zu entledigen, wenn man gewisse Kräfte unterstützt. Das ging komplett daneben.
Und der Ukraine-Konflikt?
Dieser Krieg ist für uns weit bedrohlicher als die ganze Terrordiskussion. Wir sind gerade mal 800 Kilometer von diesem Konfliktgebiet entfernt. Das Ziel kann nicht ein NATO- und EU-Beitritt der Ukraine sein. Ziel muss sein: Sicherheit für die Menschen in der Ukraine und Sicherheit für die dort lebenden Russen. Es muss auch klar geregelt werden, wie die Abspaltung der Krim legitimiert oder rückgängig gemacht werden kann. Aber wer akzeptiert, dass es in Schottland eine Abstimmung über die Abspaltung von Großbritannien gibt, hätte auch eine Abstimmung auf der Krim ermöglichen müssen. Ein Riesenfehler ist auch zu glauben, man kann Putin gegen die Russen ausspielen. Die Bevölkerung steht mehr denn je hinter ihm. Europa hat – anders als die USA – immer versucht, vermittelnd einzugreifen und die Dinge friedlich zu lösen. Da müssen wir wieder hinkommen.
Sie haben ziemlich gegen Landeshauptmann Josef Pühringer gewettert, weil er beim Linzer Burschenbundball mittanzte. Jetzt könnte man dem entgegenhalten: Warum war Josef Ackerl nicht bei der Gegendemo mit dabei?
Für Parteiveranstaltungen engagiere ich mich nach wie vor gerne. Aber bei Demonstrationen gehe ich nicht mehr mit. Das sollen die Jungen machen, so wie es bei uns damals war.
wilson holz