Bereits knapp 7.000 Abnehmer hat „Fucking Gastro“, das Buch von Wut-Wirt Günter Hager, gefunden. Rauchverbot, Registrierkassenpflicht, Allergenverordnung, Vereinsfeste, Mitarbeitermangel… Österreichs Gastronomie kämpft an vielen Fronten ums Überleben. Der ebenso erfolgreiche wie streitbare Hager hat seine Erlebnisse aus 45 Jahren Gastronomie niedergeschrieben… das Buch ist übrigens das ideale Weihnachtsgeschenk. Darin serviert der leidenschaftliche Wirt sein Herz auf der Zunge und spricht aus, was viele denken. Exlusiv auf LINZA.at – eine weitere Leseprobe des schonungslosen Werks:
Vom Bon-Wahn und erlaubtem Mundraub
Schon mal beim Après-Ski mittendrin statt nur dabei gewesen? Wenn hunderte Gäste am Nachmittag die Hütte oder die Schirmbar stürmen und jeder sein Getränk haben will? Aber sofort! Und haben Sie schon mal bei einem Open-Air-Konzert, wenn Hunderte gleichzeitig die Bar stürmen, Bier ausgeschenkt? Oder auf einem Ball oder bei einer Faschingsfeier, wenn die Post so richtig abgeht?
Bisher wurde in der Regel in diesen Bereichen von den Mitarbeitern „nach Stand“ gearbeitet. Das heißt, Anfangsbestand der Ware minus Endbestand entspricht dem Verkauf. Und erst, wenn die Gäste den Ort des Geschehens verlassen haben, wurde ohne Druck gebucht und mit dem Unternehmer abgerechnet. Mit der Einführung der Registrierkassenpflicht 2016 inklusive der direkten lückenlosen Verbindung zum kontrollierenden Finanzministerium 2017 ist es mit dieser in der Praxis hervorragend funktionierenden Lösung endgültig vorbei. Für die Gastronomiebranche ist dies wohl eine der folgenschwersten Regelungen, die je einem heimischen Politiker einfiel.
Da sind einmal die nicht unbeträchtlichen Anfangs-Investitionen: Registrierkasse, Handhelds, Funksysteme, Bon-Drucker usw. müssen angeschafft werden. Was aber noch viel schwerer wiegt: die folgenden unkalkulierbaren Kosten für die laufende Betreuung von Hard- und Software und für die Updates. Und vor allem der Aufwand! Jedes Seidel Bier, jedes Glas Mineral und jedes Frankfurter Würstchen muss jetzt sofort boniert werden, das dazugehörige Zettelchen ausgedruckt. Mehr Aufwand bedeutet auch mehr Zeit: Experten schätzen, dass die Wartezeit für den Gast dank der verpflichtend mitzuliefernden Rechnung um bis zu 25 Prozent steigt. 25 Prozent!
Das ist nicht nur unangenehm für den durstigen und hungrigen Gast und die dadurch mehrbelasteten Mitarbeiter, das bedeutet auch erhebliche Mehrkosten für den Gastronomen. Denn Zeit ist bekanntlich Geld, und je schneller der Kellner auf die Wünsche der Gäste eingeht und „liefert“, umso mehr kann er in dieser kurzen, enorm wichtigen Phase umsetzen und verdienen. Gerade bei „Stoßgeschäften“ wie den eingangs erwähnten. Schon jetzt ist es überaus schwierig, für diese ganz besonders herausfordernden Aufgaben geeignete Mitarbeiter zu finden. Je mehr man diese wertvollen Leute noch mit zusätzlichen umsatzmindernden und zeitverschwendenden Arbeiten belastet, umso weniger werden sie bereit sein, sich das noch anzutun. Ich bin ja überzeugt, dass diese enorm aufwendige Pflicht zur Belegung nur Menschen einfallen kann, die ihr Leben lang noch nie über Kostenmanagement, Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb nachdenken mussten. Ebenso überzeugt bin ich davon, dass die so sehnlichst erwarteten zusätzlichen Steuereinnahmen bei Weitem nicht in jenem Ausmaß fließen werden, wie sich das so mancher Herr in Wien vorstellt. Jede Wette drauf!
Auch die Umwelt kriegt ihr Fett, oder besser, ihr Papier ab: Eine Schätzung hat ergeben, dass der jährliche Bon-Ausschuss eines durchschnittlichen Wirtes mit etwa zehn Mitarbeitern aneinandergelegt rund um den gesamten Äquator reichen würde. Rechnen Sie das Ganze mal 60.000 – so viele Gastronomiebetriebe gibt es in Österreich – und Sie sehen: Da könnte man unseren Planeten richtiggehend einpacken… und so manchen Bürokraten gleich mit. Ganz abgesehen davon: War es schon jetzt oftmals schwierig, die lieben Mitarbeiter dazu zu bewegen, sich für ein weggeworfenes Papier am Boden zu bücken, kommt jetzt die große Herausforderung in Form von abertausenden von Gästen zurückgelassenen Kassenbons hinzu. In unserem Lokal können wir ein Lied davon singen. Zu Betriebsschluss schaut’s dort vor lauter Zettelchen so aus, als hätte es ein paar Zentimeter geschneit. „Sei dir nicht zu gut, dich nach jedem Papierl zu bücken!“, hat mein Vater immer gesagt. Diesen Rat befolge ich immer noch. Jetzt, wo der Bon-Wahn herrscht, komme ich aus dem Bücken gar nicht mehr raus. Und sollte ich jemals einen Bandscheibenvorfall bekommen, ist der Herr Finanzminister nicht ganz unschuldig daran.
Investitionen, technische Wartung, zusätzliche Reinigung, mehr zeitlicher Aufwand und damit weniger Umsatz – das alles kostet. Und zahlen tut’s zuerst der Wirt und dann leider eben der Konsument. Bis einer von beiden nicht mehr will oder kann: der Gast bleibt aus oder der Wirt sperrt zu. Ende desTrauerspiels. Nur zu verständlich, dass sich bei diesen Aussichten bei manchem älteren Kollegen oder Kleinbetrieb Angst breitmacht. Angst vor der Veränderung, vor der Zukunft, vor Belastungen, die man nicht mehr tragen kann.
Bei der Diskussion um Registrierkasse und Co. kommt natürlich auch der Begriff von der „Steuermoral“ ins Spiel. Wie man es denn selbst gehalten hätte mit der Ehrlichkeit? Ob nicht der eine oder andere da und dort „irrtümlich“ ein paar Euro an der Umsatzsteuerpflicht vorbeigelotst hätte?
Und wenn von Moral die Rede ist, sind die Moralapostel nicht mehr weit. Sie sprechen sich selbst frei von jeglicher Schuld, niemals hätten sie auch nur einen einzigen Cent … Spätestens dann ist es an der Zeit, aus der Bibel zu zitieren: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein.“ Und schon sehe ich sie, die vielen, vielen Menschen in ganz Österreich, wie sie die Steine wieder schnell und unauffällig verschwinden lassen. Denn nicht alle der wunderschönen Häuschen am Stadtrand sind nach den branchenüblichen Stundensätzen verrechnet worden oder ausschließlich dank der Arbeitskraft des Familienclans entstanden. Die finanziellen Mittel kamen nicht immer nur vom Bausparvertrag, den Mutti rechtzeitig abgeschlossen hat. Ich wage zu behaupten: Würden mit einem Fingerschnippen alle Häuser in Österreich von der Bildfläche verschwinden, die mithilfe der einen oder anderen „steuerschonenden“ Aktion errichtet worden sind, stünden wir plötzlich in einer grünen Oase. Unter den so verschwundenen Häusern wären dann wohl auch jene von Finanzbeamten, Steuerprüfern oder Politikern.
Nein, ich plädiere jetzt nicht für Schwarzarbeit beim Hausbau oder Steuerhinterziehung in der Gastronomie, sondern für Verhältnismäßigkeit und Vernunft. Ein Unternehmen, das auf persönlichem Einsatz aufgebaut ist, braucht bei all den Herausforderungen, wie wachsende Konkurrenz, ständig neue Auflagen und finanzielle Risiken entsprechend faire Ertragschancen, um bestehen zu können. Große Unternehmen, denen die Rahmenbedingungen nicht mehr passen, wandern einfach in andere Länder ab, die besten Mitarbeiter und das Know-how inklusive. Bei der Gastronomie und in der Hotellerie ist das bereits seit Jahren ebenfalls der Fall – zumindest, was die Mitarbeiter betrifft.
Als Wirt hat man es da nicht so leicht. Man kann sein Unternehmen nicht einfach einpacken und steuerschonend in ein anderes, Land verlegen. Nicht einmal das Zusperren ist – meist aufgrund der hohen Verschuldung – möglich. Was gerade noch geht: Da- hinwurschteln und durch kleine – selbstverständlich legale – Steuertricks irgendwie überleben. Ich nenne das „erlaubten Mundraub“, ein Begriff, den ich in meiner 10-jährigen ehrenamtlichen Tätigkeit als Beisitzer am Arbeitsgericht kennengelernt habe. Vorgebracht wurde er stets von Gewerkschaftsvertretern oder Juristen, die damit so manchen Kleindiebstahl eines in der Gastronomie Beschäftigten entschuldig- ten. Das Ergebnis: Freispruch.
Genau diesen „erlaubten Mundraub“, diese letzte Möglichkeit des Überlebens will man den vielen kleinen, aufgrund der totalen Überregulierung an der Null-Linie dahinwankenden Betrieben jetzt auch noch nehmen. Die Folge wird ein massiver Kahlschlag in der ohnehin bereits überschaubaren heimischen Gastronomieszene sein. Und das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange: Viele Lieferanten werden mitgerissen – Landwirte, Gemüsebauern, Viehzüchter, Bäcker, Fleischer… und vor allem die Mitarbeiter, die dann mit Arbeitslosengeld am Leben erhalten werden. Geld, das womöglich genau aus jenen Steuermehreinnahmen stammt, die man vorher aus den Gastronomiebetrieben herausgequetscht hat. Irgendwie krank dieses System, oder?
Keine Frage, dass die Einführung der Bonlegungspflicht eine Vorgeschichte hat: Wie in jedem Beruf gab und gibt es auch in der Gastronomie schwarze Schafe, die den Bogen mächtig überspannt hatten. Steuerhinterziehung in einem Ausmaß, wie sie der eine oder andere Gastrokollege betrieben hat, fällt unter schweren Betrug. Dass diese Verbrechen zum Auslöser wurden, gegen sämtliche heimische Wirtshäuser eine ähnlich harte Steuergangart einzuschlagen wie gegen Millionenbetrüger, das halte ich für unverhältnismäßig und ungerecht.
Der unangenehme Begleiteffekt dieser Entwicklung: Fast-Food- und Systemgastronomieketten werden die stromlinienförmigen Anforderungen der Steuereintreiber am besten erfüllen, während die Konzernmutter meist steuerschonend auf einem anderen Kontinent sitzt. Ganz nebenbei sehen wir dort bereits, wohin der Wahnsinn führt: Ebenso schlecht ausgebildete wie bezahlte Mitarbeiter werden auf einen 08/15-Standard getrimmt und müssen nicht viel mehr tun, als antrainierte Sätze aufsagen und angelernte Bewegungen ausführen. Von der Qualität der Produkte reden wir hier schon lange nicht mehr. Und was wir brauchen, um satt zu werden, importieren wir einfach aus dem Ausland. Hauptsache Registrierkasse, schließlich muss man diese grundsätzlich „kriminellen Wirte“ ja irgendwie kontrollieren. Und still und heimlich gehen dabei die letzten Vertreter der österreichischen Gastronomie-Kultur vor die Hunde …
Infos zum Buch: www.guenterhager.at