Einst führte eine Brücke über den Fluss, der mitten durch das Städtchen Schilda fließt. Die Brücke war schon alt und dem Verkehr nicht mehr gewachsen. Wenn ein Ochsenkarren über die Brücke fuhr, musste die Kutsche, die von der anderen Seite passieren wollte, zuerst den Ochsenkarren abwarten.
Und nun war die Brücke auch noch baufällig geworden. Durch große Löcher im Boden konnte man in den Fluss hinunter sehen und immer weniger Schildbürger waren mutig genug, die Brücke zu queren. So hielten sie vor dem Rathaus eine große Versammlung ab.
„Wir müssen die Brücke reparieren!“, rief jemand. „Ja!“, stimmten die anderen Bürger mit ein. Also holte man einen Brückenbauer aus einem fernen Land. Tagelang untersuchte der nun die Brücke, er maß und hämmerte, schraubte und bohrte und dann verkündete er: „Eure Brücke ist gefährlich. Sie ist alt und baufällig. Sie kann den Verkehr nicht mehr tragen. Außerdem ist sie zu schmal. Wir müssen die Brücke abreißen und eine neue Brücke bauen.“
Da rief ein Mann: „Oh nein! Das darf nicht geschehen. Schon mein Urgroßvater mütterlicherseits liebte diese Brücke!“ „Er hat recht!“, schrie eine alte Frau. „Auch mein seliger Onkel Alois und Großtante Amalie sind über diese Brücke gegangen. Sie muss bleiben!“
„Wir bauen eine zweite Brücke, gleich daneben!“, hatte einer der Schildbürger die zündende Idee und die Umstehenden applaudierten begeistert. „Aber das wird eine sehr kostspielige Angelegenheit“, gab der Brückenbauer zu bedenken. „Eine schöne neue Brücke würde alle Erfordernisse erfüllen. Die alte Brücke zusätzlich zu reparieren bringt nichts außer enormen Kosten.“
„Nein, nein!“, riefen die Schildbürger. „Die alte Brücke muss auch bleiben. Schon um Tante Amalia willen!“ Und so ließen die Schildbürger die alte Brücke aufwändig reparieren. Sie ist zwar immer noch viel zu schmal für den Verkehr und im Winter kann man sie nur sehr eingeschränkt nützen. Aber dafür wurde ja gleich daneben eine zweite Brücke gebaut, bei der zugegebenermaßen ein wenig gespart wurde.
Seither führen zwei Brücken dicht an dicht über den Fluss, der durch das Städtchen Schilda fließt. Und bis auf den heutigen Tag kommen Menschen von weit her, um dieses Vermächtnis menschlichen Erfindergeistes mit eigenen Augen zu sehen. Sie schütteln ungläubig den Kopf und unterhalten zuhause noch ihre Enkelkinder mit der Geschichte von der Brücke zu Schilda.