Jakobsweg, Donausteig oder Johannesweg: Der Weitwander-Boom ist ungebrochen. Auch vor unserer Haustür gibt es spannende XL-Trails: Knapp 100 Kilometer und 2.109 Höhenmeter – das sind die Hard Facts der Linzer Stadtgrenze. „Mal sehen, welche Ein- und Ausblicke es bei einer Wanderung rund um Linz es zu entdecken gibt“, dachte sich LINZA-Chefredakteur Wilhelm Holzleitner – und machte sich zum dreitägigen „Walk around Linz“ auf.
Gehen – die Wiederentdeckung der ursprünglichsten Form des Reisens. Gehen ist Entschleunigung, Selbstfindung und Rückkehr zum Ursprünglichen. Zudem ist es auch die beste Möglichkeit, Stadt, Land und Leute zu entdecken und kennenzulernen. Das ist wohl auch der Grund, warum Weitwandern und Fernwanderwege boomen. Ich habe mir meinen eigenen Weg gesucht: jenen rund um Linz. Entlang der Stadtgrenze will ich in drei Tagesetappen von je etwa 35 Kilometern die City umrunden – den Großteil davon querfeldein.
Mit leichten Trekking-Schuhen, Rucksack, Hund und Wanderstöcken mache ich mich an einem Montagmorgen an der Stadtgrenze zu Puchenau auf meinen Weg. Mit der ersten Etappe will ich das komplette Linzer Stadtgebiet nördlich der Donau umrunden. Knapp 40 Kilometer und 1.800 Höhenmeter liegen vor mir. Wobei der Teufel im Detail liegt: Es gibt kaum einen flachen Streckenabschnitt, mich erwartet ein ewiges auf und Ab – wie im richtigen Leben halt…
Tag 1: der Norden von Linz
Navigieren will ich mittels Handy und der in Linz entwickelten App „Runtastastic“, was wunderbar funktioniert. Lediglich zwei Zusatzakkus um je 19,90 habe ich als Investition getätigt – um das Handy für die geplanten täglichen Gehzeiten von zehn Stunden fit zu machen.
Knapp drei Kilometer westlich der Nibelungenbrücke liegt die Linzer Stadtgrenze – ziemlich genau dort, wo der aus Richtung Puchenau kommende tägliche Stau endet. Heute ist auf der B137 aber weit und breit keine Blechkolonne zu sehen – trotz Montagmorgen. Wegen Steinschlaggefahr wurde die Straße überraschend gesperrt. Todesverachtend werfe ich mich dennoch in die steilen Waldhänge des Donautals und strebe Richtung Pöstlingberg zu. Hier verläuft die Stadtgrenze westlich knapp unterhalb des Gipfels. Immer wieder finden sich am Wegesrand Vermessungszeichen, die die Stadtgrenze anzeigen. Wer will, kann hier im Sekundentakt „Grenzen überwinden“. Auch ich hüpfe mal nach links und mal nach rechts und freue mich wie ein kleines Kind.
Das Spielchen wird aber nach wenigen Minuten langweilig – und ich wende mich wieder wichtigeren Fragen zu. Etwa: Was hat man sich dabei gedacht, wenn die Stadtgrenze auf einmal in einem völlig unlogischen Zickzack über eine steile Böschung verläuft, statt gerade weiterzuführen? Noch skurriler wird es hinter dem Pöstlingberg am Diesenleitenweg: Hier befindet sich ein 300 Meter langer und nur 20 Meter breiter, sackgassenartiger Schlurf mitten im unwegsamen Waldgelände. Da hat wohl einer bei der Grenzziehung einen zu viel gezwitschert.
Weiter geht’s weglos durch steiles Waldgelände, da und dort lug(er)t ein Linzer Grenzstein zwischen dem Laub heraus. Hier im Wald tauchen auch immer wieder uralte, von Moos überwachsene Steinwälle auf, die direkt dem Grenzverlauf folgen. Jetzt, wo der Bodenbewuchs sich vornehm zurückhält, erahnt man auch so manche jahrhundertealte, längst aufgelassene Wege und Waldpfade. Bald wird sie die Natur wieder komplett verschlungen haben. Gedankenverloren denke ich an alte Zeiten, in denen Bauern, Mägde und Handelsvolk hier mit ihren Pferden oder Ochsenkarren hinunter in die große Stadt strömten. Kurz darauf erreiche ich eine Lichtung und bin überwältigt: Neben einem grandiosen Weitblick liegt vor mir eine steile, almartige Weide. Ich könnte mich genauso irgendwo im Salzkammergut befinden. Genau das sind die Zielpunkte meiner Reise: Ein- und Ausblicke auf meine Heimatstadt, die „no man has seen before“.
Nach einem endlosen Auf und Ab führt mich ein steiler, bewaldeter Hang hinunter zum Haselgraben. An der Talsohle angekommen, kämpfe ich mich entlang des dicht verstrüppten Haselgrabenbachs (genau an der Grenze) Richtung Norden weiter. Etwas oberhalb der Speichermühle (hier zweigt die alte Kirchschlager Straße ab) befindet sich der nördlichste Punkt von Linz. Dieser liegt in einem sehr steilen Waldgelände neben einem Wasserfall – und ist sowas von idyllisch – hart an der Grenze zum Kitsch.
Baum pflanzen, Kind zeugen, Haus bauen, nördlichsten Punkt von Linz aufsuchen – das hat Mann von Welt alles auf seiner To-do-List. Bis auf Bude bauen kann ich ab heute alles abhaken. Mal sehen, ob sich das in diesem Leben noch ausgeht. Ole!
Hund bieselt auf den höchsten Punkt der Stadt
Aufgrund des extrem steilen Geländes (was man gar nicht glauben mag, wenn man mit dem Auto den Haselgraben hochfährt), gehe ich den nächsten Streckenabschnitt Richtung Oberbairinger Straße etwas oberhalb der Stadtgrenze. Beim höchsten Punkt der Stadt erreiche ich wieder Linzer Stadtgebiet: Immerhin auf 604 Meter Seehöhe befinde ich mich hier – 65 Meter über dem vermeintlich höchsten Stelle der City, dem Pöstlingberg. Trotz des geschichtsträchtigen Moments bleibt mein Hund Luni unbeeindruckt und bieselt mitten in die Wiese. Was für eine gottlose Ignorantin!
Und wenn ich jetzt den Stadtplan nicht ganz verkehrt rum halte, müsste es fortan (fast) nur mehr bergab zum heutigen Etappenziel, dem HARRYS HOME Hotel in Dornach, gehen. Erstmal lügt der Plan nicht: Steil geht’s weglos hinunter gen Linz. Bemooste Felsformationen, kleine Bacherl, verwitterte, weit über 100 Jahre alte Marterl – wer genau schaut, kann hier so viele Fotomotive und kleine Alltagswunder entdecken. Vor einem uralten Holzschuppen, der aufgrund seiner Schräglage eigentlich gar nicht mehr stehen dürfte, bleibe ich minutenlang stehen. Leider gehen wir alle viel zu oft blind durch die Gegend, ohne die wahren „Augen-Blicke“ dieser Welt zu entdecken. Es müssen nicht immer Superlative wie 3000er-Gipfel, Weltmetropolen oder Hochhäuser sein, die uns zum Staunen bringen.
Kurz darauf erreiche ich nördlich von Linz-Dornach die Strecke der ehemaligen Pferdeeisenbahn. Statt dem ausgeschilderten Weg folge ich aber Verlauf der Stadtgrenze. Dort entdecke ich, dass die eigentliche Trasse der historischen Bahnstrecke nicht dem beschilderten Pferdeeisenbahnweg entlang, sondern gut 150 Meter weiter nördlich durch das Dickicht verläuft. Sogar eine alte, eingefallene Brücke ist hier mitten Wald noch in Fragmenten zu sehen. Ich bin einfach nur begeistert: Was für eine Entdeckung!
Bei Plesching muss ich dann aber leider doch nochmals gut zwei Kilometer bergauf Richtung Truppenübungsplatz durch den Wald hatschen, weil der Grenzverlauf es so will. Nach weiteren drei Kilometern erreiche ich mit dem HARRYS HOME meine Bleibe für die kommende Nacht. Die 90-minütige Badewannen-Session wage ich – nach fast 40 Kilometern Fußmarsch und 1.800 Höhenmetern – als „Hochverdient“ zu titulieren.
Auch mein Hund Luni vertschüsst sich nach der Verdrückung zweier (nicht minder verdienter) Dosen Futter unter den Tisch und ward bis morgen früh nicht mehr gesehen. Ja, die Hunde von heute: Halten auch nix mehr aus. Früher war halt alles viel besser.
Tag 2: endlose Weiten
Heute steht eine lange, aber gottseidank flache Etappe am Programm: An der östlichen Stadtgrenze geht’s die Donau entlang bis zum Kraftwerk Asten und via Pichling und der Grenze zu St. Florian bis nach Ansfelden. Wieder um die 40 Kilometer, aber mit gerade mal 200 Höhenmetern relativ anstiegsfrei.
Als erstes wird der Pleschingersee in einem großen Bogen durch die Donau-Au umrundet – was die wenigsten wissen: Der beliebte Badesee gehört nicht zum Linzer Stadtgebiet. Knapp 1,5 Kilometer östlich der VOEST-Brücke endet das Linzer Donauufer, ab hier verläuft die Stadtgrenze fast bis zum Kraftwerk Asten genau in der Flussmitte. Da ich – abgesehen von den 2 Grad Wassertemperatur der Donau – mit einem großen Rucksack nicht so gerne schwimme, gehe ich am schnurgeraden und ebenen Donauradweg Richtung Kraftwerk.
Bei der Steyregger Eisenbahnbrücke bleibe ich kurz stehen und komme ins Grübeln: Warum ist diese Brücke trotz 26 Jahre mehr am Buckel (1873 eröffnet) in einem so guten Zustand, während die Linzer Eisenbahnbrücke (1899) ein unüberbrückbares Sicherheitsriskio darstellte und deswegen unbedingt weg musste? Kopfschüttelnd gehe ich weiter. Von hier erstreckt sich bis zum Kraftwerk hinunter eines der letzten stadtnahen Augebiete mit einem wunderschönen Donau-Seitenarm. Leider wird hier auch Schotter abgebaut – irgendwie können wir Menschen dann doch nicht anders als blind dem Fortschritt hinterherzuhecheln. Auch das Kraftwerk in Asten gehört dazu. Schön anzuschauen ist dieser abweisende Betonriegel im Fluss wirklich nicht. Durch den Rückstau stieg auch der Donaupegel in Linz damals um fast vier Meter – was das Ende für viele große Schotterbänke im stadtnahen Bereich bedeutete. Wie schön könnte die Donau heute ohne diese riesigen, sterilen Staubereiche aussehen…
Vier „Bonus-Kilometer“
Obwohl das Stadtgebiet gut zwei Kilometer vorher endet, muss ich zur Donauüberquerung noch bis zum Kraftwerk marschieren – so sammle ich in Summe vier „Bonus-Kilometer“ ein. Auf der Linzer Seite geht’s dann in die Schwaigau – und damit wohl dem schönsten Streckenabschnitt der Stadtgrenze: Hier befindet sich eine knapp vier Kilometer lange, nahezu unberührte Aulandschaft mit dem „Mitterwasser“ als Lebensader. Weglos schlage ich mich – der Stadtgrenze folgend – durchs hoffentlich zeckenfreie Dickicht. Bei einem kleinen Seitenarm des Mitterwassers entdecke ich einen Biberdamm – was für ein unglaublich schöner Anblick! Angenagte Bäume sieht man mittlerweile an vielen Stellen der Donau – aber ein ganzer Biberdamm! Ich bin sprachlos und glücklich, dieses „Kunstwerk“ sehen zu dürfen.
Ein Stück weiter taucht ein uralter Holzsteg auf, der über das Rinnsaal führt. Nur kurz zögere ich, ehe ich mich drübertraue. Luni bevorzugt den Weg durchs Wasser, sie nutzt den Marsch durch das etwa 50 Zentimeter tiefe Bacherl gleich mal zum Wasser schlabbern. An einem weiteren Naturjuwel – ich nenne ihn aufgrund seiner acht Stämme „Krakenbaum“ – vorbei, verlasse ich die Au und streben dem Pichlingersee zu. Hier belohnen wir uns nach dem Au-Abenteuer bei einem Buffet mit je einer Portion ziemlich fettem Leberkäse. Der See wäre ja beinahe durch einen XL-Stadionbau „angeknabbert“ worden. Warum kann man so etwas überhaupt ernstlich in Erwägung ziehen?
Weiter geht’s unter der Westautobahn hindurch, ehe wir auf die Geleise der Florianerbahn treffen. Seit bald 50 Jahren verkehrt hier die alte Straßenbahn nicht mehr. Bis 1974 fuhren damit von Ebelsberg kommend die Badegäste zum See – und in umgekehrter Richtung die Pendler aus St. Florian Richtung Linz. Der Gleiskörper ist in einem schlimmen Zustand, die Oberleitung ist bereits komplett verschwunden. Es gäbe zwar einen Verein, der sich um den Erhalt der Strecke kümmert, dieser hat die Strecke aber ebenfalls bereits aufgegeben. Schade um dieses schöne Stück OÖ Eisenbahngeschichte!
Quer über die von der Landwirtschaft genutzten, sanften Hügeln hindurch erreiche ich den südlichsten Punkt der Stadt, der direkt neben dem bekannten Ausflugsgasthaus Wolfsjager an der Grenze zu St. Florian liegt. Hier verhindert die kürzlich vorgenommene Lokalschließung eine Einkehr zur Aufnahme eines Humpens Mosts (ich) bzw. einer Schüssel Wasser (Luni).
Gut 45 Minuten später erreiche ich das schmucklose Fernfahrer-Hotel ADEO in Ansfelden, wo ich mit nach weiteren 40 Kilometern erleichtert die Schuhe ausziehe. Fernfahrer trifft Weitwanderer – passt ja auch ganz gut, irgendwie.
Tag 3: der Westen
Die heutige Abschluss-Etappe führt mich über Ebelsberg die Traun entlang und weiter Richtung Norden zum Endpunkt, dem Donauufer in St. Margarethen. Mit der Ansfeldnerin Petra Haider hat sich für die letzte Etappe eine spontane Mitwanderin eingeklinkt. Gut so, denn die eher öde Strecke entlang von Gleisen, zwischen Firmengeländen, bewohntem Gebiet und durch Felder hindurch verträgt etwas ablenkende Konversation ganz gut. Zweimal mussten wir „inoffiziell“ ein Betriebseglände über- bzw. unterwinden sowie einen hohen Zaun überklettern, um in der Spur zu bleiben. Nach knapp 20 Kilometern dann die letzte große Herausforderung: der steile Abstieg ins Donautal hinunter nach St. Margarethen, dem es aber auch nicht gelingt, uns aus den Satteln zu heben.
Fazit: ein großartiges Abenteuer mit vielen, vielen wunderschönen Eindrücken und Erlebnissen. Ich habe wirklich schon einiges gesehen auf dieser Welt – umso mehr schätze ich die unbemerkten Sehenswürdigkeiten direkt vor der Haustür. Nie hat der Spruch „Warum denn in die Ferne schweifen…“ mehr gepasst als zu dieser Tour. Es gibt so vieles zu entdecken – man muss es aber auch erkennen. Also: Rein in die Wanderschuhe!
Tour-Rückblick: www.facebook.com/walkaroundlinz