Die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin Renate Pühringer sorgte mit ihrem Austritt aus der Linzer SPÖ für ein mittleres Erdbeben – mehrere Medien berichteten ausführlich, sogar Bürgermeister Klaus Luger musste sich einige unangenehme Fragen gefallen lassen. „Es gibt Entwicklungen unter Klaus Luger, die ich einfach nicht mehr mittragen wollte. Mit seiner Forderung, 300.000 Impfdosen für Schlüsselarbeitskräfte statt für Hochrisikopatienten zu reservieren, war das Maß für mich voll“, so Pühringer.
Frau Pühringer, Ihr Austritt als „kleines“ SPÖ-Parteimitglied hat sogar bis ins Büro von Bürgermeister Luger ordentlich Wind gemacht.
Die Politik des Bürgermeisters erfüllt leider überhaupt nicht mehr die Versprechen der SPÖ nach Solidarität und Gerechtigkeit. Beide Werte sind für mich gerade in der Politik unabdingbar. Ich fühle mich von Klaus Luger nicht mehr vertreten.
Wie empfinden Sie die politische Grundstimmung in Linz?
Ich war bei der letzten Gemeinderatssitzung als Zuhörerin dabei und bin über die Gleichgültigkeit dort erschüttert. Bei der Entscheidung zum Bau des 28 Millionen Euro teuren Blauweiß-Stadions etwa hat nur eine einzige Partei fundiert kontra gegeben, allen anderen war es egal, dass das Projekt der Stadt Linz dreimal so teuer wird wie von Klaus Luger versprochen.
Sie sind Expertin im Pflegebereich. Seit Jahren wird über eine Pflegereform diskutiert. Warum geht da überhaupt nix weiter?
Der Pflegebereich wird abgetrennt vom übrigen Gesundheitssystem behandelt. Dabei müssen Pflege und Gesundheit GEMEINSAM gedacht werden. Dann kommt noch der Föderalismus dazu, wo jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kocht. Unser Gesundheitssystem ist bis ins kleinste Detail fragmentiert, kaum jemand hat da noch einen Durchblick. Das eigentliche Ziel, nämlich das Beste für die Menschen zu erreichen, wurde aus den Augen verloren.
Die Pflegekräfte wurden über Jahrzehnte immer eher im Hintergrund “kleingehalten“. Es fehlt an Wertschätzung. Empfinden Sie das auch so?
Ja. Darum wird auch die Expertise, die in der Pflege vorhanden ist, nicht abgerufen. Da entscheiden Ärzte oder Gesundheitsökonomen über unsere Köpfe hinweg. Wir treten aber oft auch zu wenig selbstbewusst auf. Wir sollten viel lauter und damit wahrnehmbarer sein.
Was ist aktuell das größte Problem im Pflegebereich?
Was nicht nur fürs Personal, sondern vor allem für die Menschen, die wir betreuen, wichtig wäre: dass endlich der Zeitdruck bei der Pflege herausgenommen wird! Je ruhiger ich mit einem Menschen arbeiten kann, desto besser kann ich auf ihn eingehen und umso schneller kann er auch seine eigenen Ressourcen mobilisieren und kommt wieder auf die Beine.
Der Pflegejob ist extrem fordernd und bedingt auch viel körperliche Arbeit. Warum tut man sich das alles an?
Das Schöne am Pflegeberuf ist, dass man so nah am Leben dran ist wie nirgendwo sonst. Das geht hin bis zur Sterbebegleitung. Dort, wo sich niemand mehr hintraut und keiner mehr da ist, sind wir.
Wo liegt denn die Zukunft in der Pflege?
Jedenfalls nicht in klassischen Altersheimen, wie man sie in Linz weiter bauen will! Es gäbe im Bereich Wohnbau enorm viele Chancen – etwa generationenübergreifendes Wohnen oder Cohousing-Projekte, wo zwar jede/r eine eigene Wohnung hat, es aber Gemeinschaftsbereiche gibt. Das große Thema Einsamkeit im Alter wäre dann keines mehr. Skandinavien, aber auch die Schweiz zeigen vor, wohin die Reise gehen muss. Der Bau von Altenheimen alleine kann und wird nicht die Lösung sein.
Die demographische Entwicklung stellt uns vor eine Riesen-Herausforderung. In den nächsten 20 Jahren wird sich die Zahl der 85-jährigen von gegenwärtig 37.000 auf 70.500 nahezu verdoppeln – die Altersgruppe 65+ steigt gar von 283.000 auf 436.000 Menschen, das entspricht fast 28 Prozent aller Oberösterreicher. Lässt sich das im Pflegebereich überhaupt bewältigen?
Wir brauchen dazu gute Konzepte. Angesichts dieser Zahlen wird es nicht nur klassische Pflege brauchen, sondern auch gute Nachbarschaftshilfe und eine Art ‚gemanagtes‘ Ehrenamt mit Stadtteilbüros, wo man sich melden kann und seine freien Zeitkontingente zur Verfügung stellt. Viele kleine, aber auch größere Hilfs- und Unterstützungstätigkeiten ließen sich so auffangen. Und wer so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleibt, spart dem Staat auch viel Geld.
Wie altersgerecht ist Linz?
Linz hat hier mit Sicherheit enormes Verbesserungspotential! Das beginnt mit barrierefreien Gehsteigen und geht weiter über großteils nicht vorhandene Sitzmöglichkeiten in der Innenstadt bis hin zu fehlenden, gepflegten, hellen, öffentlichen Toiletten. Menschen im öffentlichen Dienst wie Polizisten oder Busfahrer könnten im Umgang mit dementen Menschen sensibilisiert werden, die Stadt könnte Parkplätze für die Mitarbeiter der mobilen Pflege freihalten, damit mehr Zeit für die Patienten da ist und nicht „auf der Strecke“ bleibt. Da geht noch einiges!
Was macht Linz für Sie persönlich aus?
Die Stadt ist von der Größe her perfekt. Klein, aber auch groß genug. Man trifft viele Freunde, hat aber auch eine gewisse Anomymität. Und man schließt auch mit neuen Menschen schnell Bekanntschaften. Es gibt ein unfassbar schönes Grünland. Aber das Potenzial der Stadt wurde in sehr vielen Bereichen noch nicht gehoben. Als Alltagsradlerin ärgert es mich zum Beispiel, dass der Autoverkehr so viel Raum und Aufmerksamkeit einnimmt.
Nach Ihrem Weggang von der SPÖ: Als Pflege-, aber als auch ‚Linz-Expertin‘ wären Sie prädestiniert, sich in der Lokalpolitik zu engagieren. Würden Sie sich gerne um den ‚Intensivpatienten‘ Linz kümmern?
Was die Zukunft bringt, kann keiner sagen. Grundsätzlich wäre das aber eine interessante Sache, auch wenn die Politik ähnlich wie die Pflege eine sehr fordernde Angelegenheit ist. Da wie dort braucht es viel Gespür für die Menschen. Mal sehen!