Am 4./5. März 2020 steigen die Wirtschaftskammerwahlen. Der Unternehmer Gerhard Edelsbacher geht erstmals mit seiner eigenen Liste „WIR“ in den Wahlkampf: „In der Wirtschaftskammer herrscht Stillstand“, sagt der dreifache Vater, der auch die gewaltigen Rücklagen der WKOÖ in Höhe von 90 Millionen Euro anprangert – und über die derzeitige Präsidentin Doris Hummer ziemlich kritische Worte verliert.
Gerhard Edelsbacher – Sie sind erfolgreicher Unternehmer und engagieren sich auch in der Wirtschaftskammer. Warum?
2014 ist in mir die Erkenntnis gereift, dass Raunzen und Sudern die Welt nicht besser machen. So habe ich mich entschlossen, die Wirtschaftskammer positiv und nachhaltig zu verändern. Ich bin auf einem Bergbauernhof aufgewachsen. Da habe ich gelernt, anzupacken. In der Wirtschaftskammer ist das Gegenteil der Fall, da herrscht Stillstand.
Ihre Liste nennt sich WIR – das Wirtschaftsnetzwerk. WKOÖ-Präsidentin Doris Hummer wirbt auch mit dem Begriff WIR.
Alle Fraktionen in der Wirtschaftskammer betonen das WIR und suggerieren damit, es wäre eh alles in Ordnung. Tatsache ist, dass die Präsidentin der WKOÖ keine Gelegenheit auslässt, um mich auszubremsen. Beim Wirtschaftsnetzwerk gibt es tatsächlich ein WIR. Ich bin mit allen Fraktionen in einem guten Austausch und habe zu (fast) allen Playern ein sehr gutes Verhältnis.
Welche Personen stehen alles hinter WIR?
WIR-Wirtschaftsnetzwerk ist ein eingetragener Verein, der im November 2019 entstanden und österreichweit aktiv werden wird. Bei den Wahlen im März gehen wir in Wien und Oberösterreich an den Start. Ich bin Spitzenkandidat in Oberösterreich. WIR treten mit 30 KandidatInnen in elf Fachgruppen und fünf Sparten an und sind damit für über 25.000 UnternehmerInnen wählbar.
Was genau wollen Sie mit WIR verändern?
Die Wirtschaftskammer ist eine Dunkelkammer. Sie scheut Transparenz und Pluralität wie der Teufel das Weihwasser. Ich habe die Vision von einer Wirtschaftskammer, in der jede Unternehmerin und jeder Unternehmer gerne und freiwillig Mitglied ist.
Es gibt ein Zitat von Ihnen: „Ich will Wirtschaftskammer-Präsident werden.“ Klingt verwegen – angesichts der vorherrschenden politische Verhältnisse in der WKOÖ.
(Lacht) Die Frage nach meinem Berufswunsch ist ein Stück Kindheit für mich. Wenn ich Wirtschaftskammer-Präsident bin, werde ich ein Präsident für alle Unternehmerinnen und Unternehmer sein, so wie Rudi Trauner das war. Für Selbstdarstellung und Inszenierung wird kein Platz mehr sein. Die Wirtschaftskammer wird transparent sein, Voranschläge und Budgets werden vollständig auf der Homepage veröffentlicht, die Gebarungspolitik wird den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Und: Es wird mit der Hälfte der Beiträge die doppelte Leistung geben.
Sie haben Ihre Dissertation über die Wirtschaftskammer geschrieben. Was ist die Essenz daraus?
Dass es kaum ein Rechtsgebiet gibt, wo Theorie und Praxis so weit auseinanderklaffen wie dort. Auf Basis einer komplexen Organisation – die Wirtschaftskammerorganisation besteht derzeit aus sage und schreibe 694 Körperschaften öffentlichen Rechts – gibt es ein kompliziertes Wahlrecht, das hauptsächlich dem Machterhalt der Mehrheitsfraktion dient. Vor allem im Wahlrecht gibt es Bestimmungen, die verfassungsrechtlich nicht haltbar sind.
Wo sehen Sie das Hauptproblem der Wirtschaftskammer?
Interessen von UnternehmerInnen werden der Parteipolitik untergeordnet. Die Kammerführung ist lediglich ein Erfüllungsgehilfe der ÖVP. Sonntagsreden und Lippenbekenntnisse haben Vorrang vor Sachpolitik. Wer hat denn die letzten 30 Jahre den Wirtschaftsminister gestellt und ist verantwortlich für Bürokratie und zahllose Hürden – Stichwort Registrierkasse, Allergeneverordnung und Nichtraucherschutz? Die ÖVP und der Wirtschaftsbund zeichnen verantwortlich, dass manche Branchen wie etwa die Gastronomie nicht mehr lebensfähig sind und der gesetzlichen Interessenvertretung ein Totalversagen zu attestieren ist.
Wie soll denn Ihrer Meinung nach eine moderne Wirtschaftskammer aussehen und funktionieren?
Raus mit der Parteipolitik und Budgets um 50 Prozent kürzen. Geld verdirbt den Charakter. Wozu braucht die Wirtschaftskammer über 40 VizepräsidentInnen? Ein erster Schritt wäre die Beiziehung von unabhängigen Experten bei der strategischen Ausrichtung der Wirtschaftskammer.
Braucht‘s die Wirtschaftskammer in Zeiten von Digitalisierung und offenen Wirtschaftsräumen überhaupt noch?
Eine berufliche Interessenvertretung ist gut und richtig. Sowohl bei den Arbeitgebern als auch bei den Arbeitnehmern. Stichwort Digitalisierung: Die Breitbandmilliarde wurde schon propagiert, da haben wir noch in Schillingen gerechnet. Ich habe im Wirtschaftsparlament einen Antrag gestellt, die Kammerzeitung nur mehr elektronisch zu versenden. Das wäre ein Sparpotential von etwa einer Million Euro pro Jahr. Was hat der Wirtschaftsbund gemacht? Mir erklärt, dass ich von der Materie keine Ahnung habe.
In anderen Ländern gibt es keine Wirtschaftskammern oder ähnliches. Kann man da einen Vergleich ableiten?
Ich kenne nicht alle Modelle in allen Ländern im Detail. Einerseits ist eine berufliche Interessenvertretung sinnvoll, andererseits aber das Modell der Pflichtmitgliedschaft ein Auslaufmodell. Ideal wäre eine schlanke Kammer, die sich auf ihre Kernaufgaben fokussiert – mit der Hälfte der Beiträge auf freiwilliger Basis. Das ist im Bereich des Möglichen, wenn man will.
Man hört ja immer, dass die Wirtschaftskammer gewaltige finanzielle Reserven angespart hat, obwohl das gesetzlich eigentlich gar nicht erlaubt ist. Haben Sie genaue Zahlen?
Die Wirtschaftskammerorganisation hat österreichweit ein unvorstellbares Vermögen von 1,6 Milliarden Euro, das ist mehr als die Republik jährlich für Umweltschutz ausgibt (1,4 Mrd Euro, Anm.). Die Wirtschaftskammer Oberösterreich hat Rücklagen von 90 Millionen Euro, davon werden über 70 Millionen in Finanzanlagen und Bankvermögen gehortet. Es sind darum mehrere Gerichtsverfahren anhängig. Die Wirtschaftskammer darf ihre Mitglieder finanziell nur insofern in Anspruch nehmen, als dies zur Deckung der Aufwendungen und zur Bildung angemessener Rücklagen erforderlich ist. Bei den vielen Millionen an Rücklagen ist das ein glatter Gesetzesverstoß.
Was sollte mit diesem Geld Ihrer Meinung nach passieren?
Zuallererst runter mit den Beiträgen! Ich habe im Wirtschaftsparlament einen Antrag auf Senkung der Kammerumlage 2 gestellt. Das wäre ein nachhaltiger Beitrag von etwa acht Millionen Euro zur Standortsicherung in OÖ gewesen. Die Kammerspitze hat mir erklärt, dass wir uns das nicht leisten können.
Doris Hummer ist die alles überstrahlende Persönlichkeit in der WKOÖ. Sind Sie nicht auch begeistert von Ihr?
Präsidentin Hummer hat ein komplett anderes Amtsverständnis als ihr Vorgänger Präsident Trauner. Rudi Trauner war ein Präsident für alle Unternehmerinnen und alle Unternehmer, bei dem es Platz für Transparenz und Pluralität gab. Doris Hummer sieht die WKOÖ als Filiale vom Wirtschaftsbund. Selbstdarstellung und Inszenierung stehen im Vordergrund.
Sie legen sich auch gerichtlich mit der Wirtschaftskammer an. Was steckt hier dahinter?
Ich bin ein Mensch, der zuerst das Gespräch sucht, bevor er zu Gericht läuft. In der Wirtschaftskammer herrscht noch immer das Primat der Amtsverschwiegenheit. Die gesetzlich verankerte Auskunftspflicht will die Wirtschaftskammer nicht kennen. Deshalb war in der Vergangenheit mehrfach ein Gerichtsentscheid notwendig, damit meine Auskunftsverlangen von der Wirtschaftskammer auch inhaltlich beantwortet wurden. Derzeit ist auch eine Aufsichtsbeschwerde im Wirtschafsministerium anhängig. Ich kann mittlerweile den Beweis führen, dass es in der Wirtschaftskammer ein Versagen der internen Kontrolle gibt. Aufgrund des laufenden Verfahrens möchte ich aber nicht weiter ins Detail gehen. Alles in allem hat man den Eindruck, die Präsidentin sieht die Wirtschaftskammer als rechtsfreien Raum.
Warum sollte man als Unternehmer Sie und Ihre Liste wählen?
Damit die ÖVP-Bürokratie ein Ende hat und Unternehmerinnen und Unternehmer sich wieder auf ihr Geschäft konzentrieren können. Deshalb treten WIR an: für Wirtschaft – ohne Partei.