Nach Detlef Wimmer und Bernhard Baier baten wir den Chef von NEOS Linz, Stadtentwickler Lorenz Potocnik zum „Bilanzgespräch“ zur Halbzeit der aktuellen Legislaturperiode. Potocnik über Politik, Bürgerinitiativen, Innovation, die Wahl 2021, Hochhäuser und den Bürgermeister-Job.
Herr Potocnik – von NEOS ausgetreten, dennoch Fraktionschef: Wie geht‘s Ihrer Dreier-Partie im Gemeinderat?
Uns geht‘s gut. Wir werden immer besser. Wir sind die glaubwürdigste Oppositionskraft. Auch bei Anträgen sind wir die Fleißigsten, die besten Ideen kommen sowieso von uns.
Sind Sie jetzt NEOSianer oder wilder Gemeinderat?
Wie oft soll ich es noch sagen? Einen “wilden” Gemeinderat gibt es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht. Ich bin bis zum Ende der Periode (September 2021) gewählter NEOS Gemeinderat, und das gerne. Ich bin stolz, Teil eines Ö-weiten Reformprojekts zu sein.
Die nächste Gemeinderatswahl 2021 rückt näher. Was wird da sein?
Das entscheide ich 2020. Aber lassen Sie sich sagen: Ich wärme mich gerade erst auf und bin vom Typ her ein Dauerläufer.
Jeder Politiker will gestalten. Könnten Sie Bürgermeister auch?
Klar kann ich den B. Ich würde mich vor allem der Zukunftsarbeit widmen, kaum der Repräsentation. Linz braucht einen weitsichtigen Kapitän, der alle an einen Tisch bringt. An diesem parteipolitischen Hick Hack scheitert derzeit zu viel. Linz braucht eine Zukunft, die alle mittragen.
Was macht Bürgermeister Klaus Luger gut – und was nicht?
Hmm, ich denke er kennt das Polit-Geschäft und ist ein Profi, Innovationstreiber ist er aber nicht. Linz braucht keinen Klaus Luger, der sich von Populismus treiben lässt und Machtspielchen betreibt. Linz braucht mehr Wärme, Klarheit, ein Herausarbeiten der Alleinstellungsmerkmale, mehr Mut, originell zu sein und disruptiv die Stadt an die Spitze Mitteleuropas zu führen.
Wollen Sie auch über Ihre anderen Kollegen einen Satz verlieren?
Warum nicht? Ich sehe und erlebe sie ja nun seit drei Jahren. Grün ist weitgehend irrelevant, es fehlt an Biss. Bei wichtigen Themen verlieren sie sich in ideologischen Diskussionen. Bei Blau macht vor allem Markus Hein sehr gute, konkrete Arbeit. Baier von der ÖVP will Opposition und Regierung gleichzeitig. Das kann nicht gehen, bleibt lauwarm.
Linz nennt sich selbst gerne „innovativste Stadt Österreichs“. Zurecht?
Leider nein. Wenn wir das wirklich sein wollen, müssen wir überall innovativ sein. Innovativ ist mehr als Startup. Innovativ ist eine Haltung, ein laufendes Probieren und Testen von neuen Lösungen. Egal ob in der Bim, in sozialen Bereichen, in der Mobilität oder in der Bürgerbeteiligung. Da sind wir weit davon entfernt.
Sie unterstützen auch einige Bürgerinitiativen. Kann man eigentlich noch irgendwas in Linz bauen, ohne Sie sofort am Hals zu haben?
Sagen Sie bitte nichts gegen Bürgerinitiativen. Die machen oft die Arbeit für das Allgemeinwohl, die eigentlich die Stadtpolitik erledigen sollte. Und genau diese – und nur diese – unterstütze ich.
Trotz Ihrer 4,9 Prozent bei der letzten Wahl sind Sie in den Medien dauerpräsent. Manche werfen Ihnen Mediengeilheit vor.
Was soll ich tun, wenn die Medien Interesse an den Themen und Fragen haben, die ich setze und aufwerfe?
Eines Ihrer Ankerthemen sind Hochhäuser – oder besser gesagt keine.
Falsch. Hochhäuser sind nicht mein, sondern Lugers Ankerthema. Er glaubt, Linz so großstädtisch zu machen. Das ist leider schrecklich provinziell. Ich will aufklären, was hinter diesen Hochhäusern steckt, warum diese derzeit so gerne betoniert werden. Eine Antwort auf leistbaren, dringenden Wohnbau, wie Luger ständig vorgaukelt, sind sie sicher nicht. Die Stadt lässt sich derzeit brutal über den Tisch ziehen.
Hochhäuser als Landmarks und USP für Linz, wie es Architekt Andreas Kleboth mal formulierte: Können Sie sich für dieses Argument erwärmen?
Ja, wenn man es gut macht, schon. Momentan fehlen uns aber das Know-How dazu und die Instrumente um die Qualität zu sichern. Es gibt keinen Hochhausleitplan, keine ernstzunehmende öffentliche Diskussion in der Stadt, keine Möglichkeit, Mehrwert für die Stadt gesichert abzuschöpfen. Derzeit ist es auch Willkür und reine Investoren-Anlassplanung, wo und wie diese Häuser entstehen. Das geht überhaupt nicht für eine Stadt, die innovativ und Lebensstadt sein will.
Wie soll Linz denn sonst mit dem Thema Hochhaus umgehen?
Es braucht hier dringend einen Professionalisierungsschritt. Ein Hochhausleitplan stellt die Frage wo, wo nicht, wie Qualitäten gesichert werden und was der Mehrwert für Linz sein muss, um diese Bauwerke überhaupt zu genehmigen. Der Gestaltungsbeirat ist nicht dafür da, diese riesigen Bauwerke städtebaulich zu beurteilen, schon gar nicht sie zu legitimieren.
Auch am Straßenbau wie Westring oder Ostumfahrung reiben Sie sich heftig. Dabei bräuchte Linz doch mehr Straßen und Brücken, um den Stau besser zu verteilen, heißt es immer wieder.
Falsch, der Stau lässt sich nur mehr mit anderen Mobilitätsformen, dem Rad und Öffentlichen Verkehr in den Griff bekommen. Ich würde radikal keine neuen Straßen mehr bauen, und sofort die Projekte Regiotram, Mühlkreisbahn als Straßenbahn bis Rottenegg und Schnellradwege in Angriff nehmen.
Manches läuft falsch in der Stadt. Was läuft denn Ihrer Ansicht nach gerade in Linz sehr gut?
Linz ist trotz allem sehr angenehm zum Leben. Die Kinderbetreuung etwa läuft hervorragend. Ich erlebe das bei meiner eigenen Tochter. Linz hat auch sehr viele gute und unterschiedliche Schulen.
Aus der Sicht des Stadtentwicklers: Hat Linz ein Vorbild?
Es gibt viel, das wir uns in anderen Städten abschauen können – von Städten, die international erfolgreich sind und die besten Köpfe anziehen – Kopenhagen, Amsterdam, Barcelona, aber auch Berlin im Wohnbau.
Welche Maßnahmen würden Sie als Linzer Bürgermeister durchsetzen?
Eines vorweg: Ich würde die nötigen Dinge ohne Rücksicht auf eine Wiederwahl tun. Dazu gehört ein radikaler Sparkurs, der uns schnell wieder handlungsfähig macht. Dann würde ich alles daran setzen, die Mobilitätsprojekte mit den Umlandgemeinden und dem Land auf Schiene zu bringen. Und am wichtigsten: Ich würde eine Art Linzer New Deal schaffen und alle Fraktionen zur Zusammenarbeit motivieren. Unsere großen Herausforderungen sind nur so lösbar.
Ein Blick in die Zukunft: Was wird das größte Problem im Linz im Jahr 2050 sein?
Wir brauchen jetzt und noch viel mehr in Zukunft eine große Vielfalt an verschiedenen Wohnungen. Leistbar, ganz klein, aber auch sehr groß für Erwachsenen-WGs, neue Lösungen fürs Wohnen im Alter, durchmischte Anlagen. Das wird unser größtes Problem. Wohnraum so zur Verfügung zu stellen, das Arm und Reich und Jung und Alt nebeneinander Wohnen. Und unsere Alten (Stichwort Demografie) nicht vereinsamen. Und selbstständig ihr Leben meistern können. Das lässt sich gestalten.